Leo Berlin
»Schade, dass Polizisten so
wenig verdienen«, sagte er und meinte es ehrlich.
»Tja, da kann ich Ihnen
leider auch nicht helfen«, bemerkte die Galeristin lächelnd.
Im Gehen drehte er sich noch
einmal um. »Wussten Sie, dass Gabriel Sartorius die Korrespondenz
mit seinen Patienten aufbewahrt hat?«
Wieder daneben. Sie war nicht
aus der Ruhe zu bringen. »Ich habe nichts zu verbergen, Herr
Kommissar. Natürlich weiß ich nicht, was andere ihm geschrieben
haben . . .«
»Falls Ihnen etwas einfällt,
das uns helfen könnte, rufen Sie mich bitte im Präsidium an.«
Er legte seine Karte auf ein Tischchen neben der Tür und
verabschiedete sich.
Leo goss sich ein Glas Bier
ein und überlegte. Der Bericht des Leichendoktors überraschte
ihn lediglich in einem Punkt. Der Schlag war nur die indirekte
Todesursache gewesen. Dem Opfer war die Zunge in den Hals gerutscht, was
im Verlauf der tiefen Bewusstlosigkeit, die auf den Schlag folgte, zum Tod
durch Ersticken geführt hatte. Vermutlich hatte der Täter schräg
rechts hinter Sartorius gestanden und das Überraschungsmoment
ausgenutzt. Theoretisch kam auch eine Frau als Täterin in Frage, die
jedoch über ungewöhnliche Kraft verfügen musste. Der
Angriff war mit der rechten Hand geführt worden. Nichts, was einen Rückschluss
auf den Täter zuließ oder den Kreis auch nur eingeschränkt
hätte. Nichts außer der Tatsache, dass der Täter
vermutlich Handschuhe getragen hatte.
Die Zeitungen hatten sich
sofort auf den Mord gestürzt und sensationelle Geschichten über
Sartorius’ Heilerfolge gebracht. Eine Filmschauspielerin hatte sich,
ohne dass ihr Name überhaupt mit ihm in Verbindung gebracht wurde,
von dem Heiler distanziert. Vielleicht hatte er ihr ebenfalls Rauschgift
besorgt. Interessant. Wenn nun doch ein Patient durch diese Methoden zu
Schaden gekommen war?
Leo stand auf und ging in die
Küche, wo Ilse mit ihrem Handarbeitskorb saß und Kinderstrümpfe
stopfte. Bei ihrem Anblick zog sich etwas in seiner Brust zusammen. So
ähnlich hatte Dorothea früher im Wohnzimmer gesessen, den Korb
neben sich auf dem Sofa, den Stopfpilz im Strumpf, nur war ihr Gesicht
sanfter und fröhlicher gewesen.
»Ich muss noch mal weg,
Ilse. Es kann spät werden.«
Sie schaute kaum hoch.
»Sei leise, wenn du wiederkommst.«
»Es ist dienstlich«,
sagte er und ärgerte sich sofort, weil es wie eine Rechtfertigung
klang.
Sie nickte wortlos.
Er zog Hut und Mantel über,
telefonierte kurz mit Walther und verließ die Wohnung.
Lokal konnte man es kaum
nennen. Ein Keller, zu dem einige Stufen hinunterführten, so dunkel,
dass er vom Gehweg aus kaum zu erkennen war. Das winzige Fenster war mit
einem Tuch verhängt. Kein Laut drang auf die Straße. Es war ja
auch kein Tanzlokal. Niemand, der hierher kam, wollte Musik und
Unterhaltung.
Träge Blicke wandten
sich den beiden Polizisten zu, als sie den dämmrigen Raum betraten.
Eine flackernde Gaslampe enthüllte schemenhafte Gestalten, die am
Boden lagen, auf Bänken kauerten oder gekrümmt in der Ecke
hockten.
Leo und Walther sahen sich
an. Zum Glück war für diesen Abend keine Razzia geplant, das
hatten sie vorher überprüft. Leo trat zu dem Mann, der hinter
einer behelfsmäßigen Theke stand und beim Anblick der »Geheimen«,
wie die Kripoleute in diesen Kreisen hießen, rasch etwas hinter dem
Tresen verschwinden ließ. Doch obwohl dieser Mann unzählige
Kunden mit seinem Gift versorgte, war Leo heute nicht an Kokain und
Morphium interessiert. Er beugte sich zu dem Wirt hinüber und sagte
leise: »Paule, für deinen Stoff sind die Kollegen zuständig.
Ich will nur ein paar Antworten.«
Der Wirt schaute ihn
zweifelnd an. »Na, ick weeß nich . . .«
»Deine Gäste
bekommen sowieso nichts mit«, meinte Leo mit einem Blick in die
Runde. Keine der apathischen Gestalten, kaum mehr als dunkle Flecken in
dem verräucherten Raum, schien sich für die Kriminalbeamten zu
interessieren.
»Es geht um Gabriel
Sartorius«, warf Walther ein. »Den dürftest du doch
kennen.«
Paule zog die Schultern hoch.
»Die meisten Jäste kenn ick nich mit Namen. Die zahlen und
kriejen wat se wollen, det is allet.«
»Ach, komm schon. Du
liest doch Zeitung, auch wenn’s nur Käseblätter sind«,
meinte Leo strenger. »Der ermordete Wunderheiler. Wurde vor drei
Tagen in seiner Wohnung erschlagen. Wir wissen, dass er
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