Leo Berlin
Arzt, er heilt
Menschen. Ich kenne keinen anderen Heiler.«
Robert seufzte leise.
»Gabriel Sartorius ist
tot.«
Verena Moltkes Gesicht blieb
reglos.
»Ich glaube, er ist
abends gelegentlich mit Ihnen ausgegangen. Er war ein interessanter Mann,
lange dunkle Haare, exotische Kleidung. Er hat Ihnen weißes Pulver
gegeben.«
Ihr Kopf schoss abrupt hoch.
»Weißes Pulver.«
»Ja. Sie haben es auf
einen Tisch gestreut – so«, Leo machte eine entsprechende
Handbewegung, »und dann haben Sie es durch ein Röhrchen in die
Nase hochgezogen.«
Sie nickte langsam. »Ja,
das war schön. Ich habe mich wie im Himmel gefühlt.«
Leo legte vorsichtig eine
Hand auf ihre. »Wie im Himmel?«
Robert bewunderte Leos
Geduld.
»Ja, ganz leicht und
wolkig.«
»Sie sind zusammen mit
ihm in ein Lokal gegangen. Öfter sogar. Ein dunkles Lokal, in einem
Keller, voller Leute, die nicht viel sagen. Und da haben Sie das Pulver
bekommen.«
Erneutes Nicken.
»Und irgendwann sind
Sie allein hingegangen. Weil Sartorius nicht mehr wollte oder konnte. Und
dann haben Sie sich das weiße Pulver selbst gekauft.«
»Ja, das war so schön.
Wie im Himmel«, wiederholte sie.
Leo stand vorsichtig auf und
machte Robert ein Zeichen, der daraufhin näher trat. »Ich
glaube, es hat keinen Sinn, sie weiter zu quälen. Lass uns zu den
Schwestern gehen.«
»Auf Wiedersehen, Fräulein
Moltke. Danke für Ihre Hilfe.«
Doch sie hatte sich schon
wieder zum Fenster gewandt und starrte in den baumlosen Garten.
»Völlig kaputt.«
Robert schien froh, als sie wieder im Flur standen. »Warum machen
die Rauschgiftleute diese Kokskeller nicht zu?«
»Ach, es gibt so viele,
die das Zeug nehmen, notfalls auch zu Hause oder auf der Straße. Wer
interessiert sich schon für Mädchen ohne Nase, solange Geld mit
ihnen verdient wird?«, fragte Leo ein wenig bitter.
Er ging zum Schwesternzimmer
und klopfte. Eine ältere Frau in weißer Tracht öffnete und
sah sie fragend an. »Ja, bitte?«
»Kriminalpolizei. Wir
waren eben bei Fräulein Moltke und würden Ihnen gern ein paar
Fragen stellen.«
Die Schwester schüttelte
bekümmert den Kopf. »Das ist eine ganz schlimme Geschichte. Sie
ist noch so jung, aber ich habe wenig Hoffnung, dass sie wieder gesund
wird. – Kommen Sie doch herein.«
Das Schwesternzimmer bot eine
freundliche Abwechslung nach den kahlen Fluren. Auf dem Tisch standen eine
Vase mit Blumen und eine Schale Gebäck. Die Schwester deutete auf
zwei Stühle mit bunten Kissen und lächelte. »Wir
versuchen, es uns hier ein wenig nett zu machen. Bei so viel Leid braucht
man das auch. Ich bin übrigens Schwester Agathe.«
Leo und Walther setzten sich.
»Konnten Sie mit ihr
sprechen?«
»Sie hat nicht viel
gesagt. Ihr Gedächtnis scheint angegriffen zu sein«, meinte
Walther.
Schwester Agathe nickte.
»Manchmal hat sie klare Augenblicke, dann erzählt sie uns von
früher. Aus ihrer Kindheit. Muss ein schönes Leben geführt
haben, die Familie ist nicht arm. Sie wollte wohl allein in Berlin leben
und ist in falsche Gesellschaft geraten. So geht das heute mit den jungen
Frauen.«
»Ist dies eigentlich
eine Privatklinik?«, fragte Leo.
»Ja. Es ist, wie soll
ich sagen, eine Einrichtung, wo Patienten aus gutem Haus aufgenommen
werden, die –«
»– man lieber
versteckt«, wagte er sich vor.
»Na ja, Sie verstehen,
ich arbeite hier und darf nicht schlecht über das Haus sprechen. Aber
es ist kein Sanatorium im Grünen, nichts für Damen, die eine
kleine Nervenkrise erlitten haben und sich bald wieder erholen. Hierher
kommen Menschen wie Fräulein Moltke, unheilbare Trinker und
Morphinisten, wenn ihre Familien sie nicht in einer staatlichen Anstalt
wissen wollen.«
Leo nickte.
»Darf ich fragen, warum
Sie hier sind?«, erkundigte sich Schwester Agathe.
»Wir wüssten gern,
wer Fräulein Moltke besucht. Ob es einen Bruder oder Verlobten gibt,
der ihren Verfall mit ansehen muss und sich womöglich dafür gerächt
hat.«
Die Schwester sah ihn überrascht
an. »Ich dachte, Sie wüssten, dass die meisten Patienten hier
keinen Besuch erhalten. Zu Fräulein Moltke ist jedenfalls nie jemand
gekommen.«
»Herr Direktor, hier
sind die neuen Muster, die ich Ihnen bringen sollte.« Karl Lehmann
legte die Pappkarten mit einer leichten Verbeugung auf den Schreibtisch.
»Danke, Herr
Lehmann. Ich sage
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