Leo Berlin
Leute nicht Deutsch sprechen.«
Sie traten ein, wobei die
Ladenglocke über ihren Köpfen dissonant schepperte. Im Laden
herrschte Halbdunkel, und von allen Seiten drangen Gerüche auf sie
ein. Das Gemisch aus Zwiebeln, Äpfeln, Scheuermittel und Käse
verwob sich zu einem Duftbild, das ihnen mehr über die Umgebung
verriet als ihre Augen. Aus dem Hinterzimmer drang leises Rumoren, bevor
ein gebeugter Mann mit schwarzem Hut, unter dessen Krempe schütteres
Haar hervorlugte, herausgeschlurft kam und hinter die Theke trat.
»Guten Tag, ich bin
Kommissar Leo Wechsler, Kriminalpolizei«, stellte Leo sich vor. Der
alte Mann schaute ihn unsicher an, der Blick seiner tief in den Höhlen
liegenden Augen schien aus weiter Ferne zu kommen. »Stankowiak?«
Sein Kollege übersetzte
Leos Worte. Der alte Mann neigte leicht den Kopf. »Izaak Szylinski«,
sagte er mit leiser Stimme.
Leo holte eine Photographie
aus der Tasche. »Fragen Sie ihn, ob er die Frau gekannt hat.«
Stankowiak übersetzte
und reichte Szylinski das Bild von Erna Klante, die man so hergerichtet
hatte, dass die Strangulationsspuren am Hals nicht zu erkennen waren. Der
Alte deutete mit der Hand aufs Hinterzimmer, in dem ein Fenster mehr Licht
spendete, und nahm die Photographie mit. Sie hörten einen erstickten
Laut, dann schlurfte er eilig zu ihnen zurück.
»Znatem jà. .
. Naprawd´ nie˝yje?«, fragte er bestürzt.
»Ich habe sie gekannt .
. . sie ist also wirklich tot?«, übersetzte Stankowiak und fügte
rasch hinzu: »Hier sprechen sich Verbrechen rasch herum, das muss
nichts heißen.«
»Natürlich nicht.
Fragen Sie, von wem er es erfahren hat?«
»Der Hauswirt Seidel
hat es ihm erzählt. Er kauft gelegentlich Zwiebeln bei Herrn
Szylinski, weil es die besten im Viertel sind. Er hat einen Gemüsegarten,
in dem er sie selber zieht, weil die vom Großmarkt nicht gut genug
sind.« Stankowiak hörte aufmerksam zu und dolmetschte weiter:
»Erna Klante ist seine Kundin gewesen und hat bei ihm anschreiben
lassen. Gemüse, Graupen, Körperpuder. Aber er verzichtet auf das
Geld. Die Toten solle man in Ruhe lassen.«
Der alte Mann neigte den
Kopf, als hätte er die deutschen Worte verstanden.
Leo nickte. »Stankowiak,
fragen Sie ihn, ob ihm am Tag des Mordes etwas aufgefallen ist.«
Der Ladenbesitzer überlegte
und kratzte sich unter dem Hut am Kopf. Bei seinen nächsten Worten,
die etwas unsicher klangen, sah Stankowiak Leo an. Dann übersetzte
er: »Am 24. Juni, dem Tag des Mordes, war mein Geschäft wegen
des Sabbat geschlossen. Abends bin ich noch etwas spazieren gegangen, weil
das Wetter so schön war. In der Mulackstraße habe ich Erna
Klante gesehen. Sie grüßte mich und sagte etwas verlegen, sie
werde ihre Schulden bald bezahlen. Ich drehte mich noch einmal um und sah,
wie ein Mann sie ansprach. Dann sind beide zusammen in Richtung Kleine
Rosenthaler Straße gegangen.«
»Und die mündet in
die Linienstraße. Wann war das?«, hakte Leo nach.
»Es war noch hell. Kurz
vor neun, schätzt Herr Szylinski.«
»Wie sah der Mann aus?«
»Er hat ihn nur von
weitem gesehen. Gut gekleidet, Hut weit ins Gesicht gezogen. Einen braunen
Mantel hat er getragen.«
»Sagen Sie ihm, er soll
seine Aussage bitte morgen im Präsidium zu Protokoll geben. Und dass
ich ein Pfund Zwiebeln nehme.«
Stankowiak sah ihn überrascht
an. Ein kleiner Beitrag zum häuslichen Frieden mit Ilse, dachte Leo.
Stahnke und Berns hatten den
»Katakombenkeller« betreten, der um diese Tageszeit
erstaunlich gut besucht war. Der Raum war ziemlich dämmrig, da er im
Souterrain lag, in das eine ausgetretene Steintreppe hinunterführte.
Zwischen den zwielichtigen Gestalten saßen einige Männer, die
wie anständige Arbeiter aussahen und wohl wirklich wegen der
Erbsensuppe hergekommen waren. Das Besteck war mit langen Eisenketten an
den Wänden befestigt, um zu verhindern, dass der Wirt ständig
eine neue Ausstattung anschaffen musste. Im ganzen Raum hing ein Dunst aus
Suppe und dem Rauch billiger Zigaretten.
»Der kennt seine
Pappenheimer«, meinte Stahnke mit einem Blick auf das Besteck. Berns
grinste nur.
Der Mann hinter der Theke war
klein und stämmig, sein Kopf glatt und rund wie eine Billardkugel.
Dafür trug er einen umso größeren Schnurrbart. »Wie
der gute Kaiser Wilhelm«, meinte Berns. »Guten Tag,
Kriminalpolizei. Wir ermitteln im Mordfall Erna
Weitere Kostenlose Bücher