Leo Berlin
auf Violas Arm. »Mein Herr, würden
Sie Fräulein Cramer bitte loslassen!«
Daraufhin drehte er sich
abrupt um und verließ beinahe im Laufschritt den Salon. Zum Glück
brauchte er nicht lange auf ein Taxi zu warten.
Er zermarterte sich den
Kopf. Schaute in die Briefablage auf dem Schreibtisch, ging die Unterlagen
darin dreimal durch, nichts. Also hatte er ihn abgeschickt. Also hatte sie
ihn belogen, weil sie lieber diesen Cornelissen traf. Er ballte die Faust.
Schließlich gab er sich die Blöße und erkundigte sich bei
seiner Haushälterin.
»Sie wissen doch,
ich nehme die Briefe aus der Schale auf dem Tisch und gebe sie Hannes, der
sie zur Post bringt. Ich würde mir nie erlauben, die Adressen zu
lesen.«
Das hatte man nun von
loyalen Dienstboten. Es kam ihm vor wie ein Albtraum. Er erinnerte sich
genau an den Wortlaut des Briefes, seine schöne Schrift in schwarzer
Tinte, das feine graue Büttenpapier mit dem Wellenrand.
Er setzte sich an den
Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände. Sein Leben
entglitt ihm, das spürte er. Plötzlich geschahen Dinge, die er
sich nicht erklären konnte. Der taube Arm. Der verschwundene Brief.
Eine Macht, der er sich nicht widersetzen konnte, schien von außen
auf ihn einzuwirken. Er lehnte sich zurück. Zog noch einmal die
Schreibtischschubladen auf, die er schon mehrmals geöffnet hatte.
Und entdeckte beim Blick
in die unterste Schublade den Brief.
14
Als Leo am nächsten
Morgen ins Präsidium kam, eilte Robert ihm schon an der Glastür
entgegen und nahm ihn beiseite.
»Hast du Zeitung
gelesen?«
»Nein, wieso?«
»Komm mit ins Büro.«
Er schloss die Tür
hinter sich, zog eine Zeitung aus der Tasche und deutete auf eine Überschrift
auf Seite drei. ZENTRUMSABGEORDNETER IM BORDELL – HERZANFALL!
Fassungslos las Leo die kurze
Meldung:
Gestern erhielt der
Reichstagsabgeordnete Kurt D. Besuch von der Kriminalpolizei. Unseren
Informationen zufolge ging es dabei um länger zurückliegende
Bordellbesuche. Herr D. wurde als Stammkunde des Etablissements in
Tiergarten bezeichnet. Da es sich um Beamte der Mordkommission handelte,
ist davon auszugehen, dass die Befragung im Zusammenhang mit der Aufklärung
eines Kapitalverbrechens erfolgte.
Bedauerlicherweise erlitt
Herr D., der auf dem Wege zu einer wichtigen Abstimmung im Reichstag war,
noch im eigenen Haus einen Herzanfall und wurde in die Charité
gebracht.
»Woher –«,
setzte Leo an, doch die Frage war überflüssig. Die Information
konnte nur aus einer Quelle stammen. »Da darf ich mir gleich etwas
anhören.« Und als hätte er es geahnt, klopfte es in diesem
Augenblick an die Tür. Fräulein Meinelt steckte den Kopf herein.
»Sie sollen zum Chef kommen, Herr Kommissar, und zwar schnellstens.
Das hat er wörtlich so gesagt.«
Oberregierungsrat Konrad von
Gatow, der Leiter der Kriminalpolizei, bot ihm mit bemühter Höflichkeit
einen Platz an. Auch auf seinem Schreibtisch lag die bewusste Zeitung. Er
musterte Leo unfreundlich durch sein Monokel.
»Wechsler, ich habe
heute Morgen bereits fünf Anrufe von aufgebrachten
Zentrumsabgeordneten erhalten. Und vom Polizeipräsidenten höchstpersönlich.
Wie zum Teufel konnte diese Nachricht in die Presse gelangen?«
Leo schaute angestrengt auf
seine Hände. »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Herr
Oberregierungsrat.«
»Und Sie meinen, damit
wäre es getan? Das ist eine unerhörte Indiskretion, die dem Ruf
unserer Behörde sehr schaden kann. Und was glauben Sie, wie sich die
arme Frau Dießing jetzt fühlt? Der abgekürzte Familienname
ist doch ein Witz, das durchschaut ganz Berlin. Im Reichstag reden sie
über nichts anderes. Und Frau Dießing hat von der Affäre
erst aus der Zeitung erfahren, weil ihr Mann den Herzanfall erlitten hat,
bevor er mit ihr über die polizeiliche Befragung sprechen konnte.«
»Das tut mir außerordentlich
leid. Ich habe Herrn Dießing darauf hingewiesen, dass ich so diskret
wie möglich vorgehen werde, die Ermittlungen aber Vorrang vor dem
Schutz seiner Privatsphäre genießen.«
»Das verstehen Sie
unter diskret?«, fragte von Gatow aufgebracht und deutete empört
auf die Zeitung.
»Ich kann Ihnen
versichern, dass ich diese Informationen nicht an die Presse weitergegeben
habe.«
»Unsinn! Sie tragen die
Verantwortung für Ihre Leute. Wenn jemand gegen Geld mit der Presse
plaudert, ist das
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