Leo Berlin
Juni
in Berlin?«
»Nein, ich hatte in
Dresden zu tun. Verdächtigen Sie mich etwa?« Entweder war seine
Ruhe perfekt gespielt oder echt. Leo vermutete Letzteres. Sein Gefühl
sagte ihm, dass der Getreidehändler nichts mit dem Fall zu tun hatte.
»Warum hätte ich
dem armen Ding etwas antun sollen? Die war doch froh, dass sie mich hatte,
und ich bin immer gern zu ihr gegangen. Reife Frauen, die tun, was man
sich wünscht, Sie wissen schon.«
Auf das plump vertrauliche Lächeln
hätte Leo gern verzichtet, aber es war angenehm, mit jemandem zu
sprechen, der keine falsche Prüderie an den Tag legte und
bereitwillig Auskunft gab. »Kannten Sie auch andere Kunden von Erna
Klante? Hat sie Ihnen gegenüber je von anderen Freiern gesprochen?«
»Stammfreier hat sie
keine außer mir gehabt, da bin ich mir sicher. Sonst hätte sie
nicht so armselig gewohnt. Was ich ihr gegeben habe, dürfte gerade für
die Miete gereicht haben. Zum Essen ist ihr wohl nicht viel geblieben.«
»Wurden Sie jemals auf
Erna angesprochen? Im ›Augustkeller‹ oder einer anderen
Kneipe? Ist Ihnen mal jemand aufgefallen, als Sie mit ihr in die
Linienstraße gegangen sind?«
Blatzheim schüttelte den
Kopf und grinste anzüglich. »Wenn ich mit der Erna zusammen
war, hab ich nicht mehr mit dem Kopf gedacht.« Er zwinkerte Leo zu.
»Da hätte ’ne Blaskapelle neben uns marschieren können,
ich hätt’s nicht gemerkt. Schade um das alte Mädchen,
wirklich schade. Aber so ist das eben, die leben gefährlich. Wissen
nie, wen sie mit nach Hause nehmen. Berufsrisiko.«
Blatzheim schien Erna nicht
anders zu bewerten als einen Sack Weizen oder Gerste. Aber das machte ihn
noch lange nicht zum Mörder.
»Sollte Ihnen noch
etwas einfallen, Herr Blatzheim, melden Sie sich bitte auf dem Präsidium.«
»Muss ich nicht
beweisen, wo ich wann gewesen bin?«, fragte der Getreidehändler
überrascht.
Leo schüttelte den Kopf.
»Nur wenn wir einen begründeten Verdacht gegen Sie haben, Herr
Blatzheim.«
Mittags ging er ins
Krankenhaus. Als er Marie auf ein Kissen gestützt im Bett sitzen sah,
traten ihm die Tränen in die Augen. Vorsichtig klopfte er an die
Scheibe. Sie sah zu ihm herüber und winkte. Kein schwaches Heben der
Hand, sie winkte richtig. Er hauchte ihr einen Kuss zu. Marie griff neben
sich und hielt ein Buch hoch. Leo hob fragend die Achseln. Marie machte
ihm ein Zeichen, er solle in den Flur gehen.
Eine junge Krankenschwester
trat an die Glastür der Isolierstation und öffnete eine
Sprechanlage. »Ihre Tochter möchte gern neue Bücher haben.
Ich habe ihr gesagt, dass es noch etwas dauert, bis sie die Isolierstation
verlassen kann, aber sie meint, Sie sollten schon mal welche besorgen. In
der Leihbücherei, Tante Ilse wüsste schon Bescheid.« Sie lächelte.
»Ein niedliches Mädchen. Schön, dass es ihr besser geht.«
»Ist es wirklich so?«
Leo hätte die trennende Tür am liebsten aufgerissen. »Hat
sie das Schlimmste überstanden?«
»Ich glaube schon. Der
behandelnde Arzt ist im Augenblick nicht da, aber es steht besser als in
den letzten Tagen. Sie hat auch ein bisschen Grießbrei gegessen.
Aber ich muss weiter.« Sie schloss die Sprechanlage und ging davon.
Für einen Moment waren
Leo alle Fälle dieser Welt egal. Wenn nur Marie wieder gesund wurde.
Auf dem Weg ins Büro
überfiel ihn dann wieder das Bewusstsein seiner verfahrenen Lage. Der
Artikel über Dießing, der erfolglose Besuch bei Blatzheim, die
ungelöste Situation mit Ilse. Wütend trat er gegen einen
Kieselstein, der in den Rinnstein kollerte. Am liebsten hätte er ein
Messer genommen und all die Fesseln durchtrennt, die ihn gefangen hielten.
Bei einem trüben Kaffee
schlug Leo plötzlich mit der Hand auf den Tisch. »Verdammt.
Robert«, rief er ins Vorzimmer, »komm mal her.« Er
lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich brauche noch einmal
alle Unterlagen zum Fall Sartorius. Das hatte ich schon seit Tagen vor,
bin aber nicht dazu gekommen.«
»Aber der Fall Klante
–«
»Weißt du noch,
wie ich gesagt habe, dass die Fälle meines Erachtens miteinander
verbunden sind?«
»Ja, aber wir haben
keinerlei Anhaltspunkte dafür.«
»Aber auch nichts, was
dagegen spricht. Überleg mal, zwei Morde so kurz hintereinander, bei
denen alle Spuren ins Leere laufen. Der Knopf, die Brosche, der Getreidehändler.
Die Überprüfung der Liste von
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