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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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vorzuführen.«
    Er legte eine Mappe auf den
     Tisch, der im Zimmer stand, entnahm ihr eine Reihe Photographien und
     breitete sie aus. »Ich habe zahlreiche Fälle dokumentiert.«
    Leo beugte sich mit einem
     etwas flauen Gefühl darüber. Er hatte nie persönlich mit
     der Krankheit zu tun gehabt, aber ihr Ruf reichte aus, um ihm Unbehagen zu
     bereiten. Er sah Aufnahmen von Hautstellen, die mit Geschwüren und
     roten Flecken übersät waren. Von Geschwüren zerfressene Hände.
     Ganzkörperaufnahmen von Menschen, die blicklos in die Kamera
     starrten, mit schräg gelegtem Kopf und gekrümmtem Rücken.
     Großaufnahmen von Augen mit ungewöhnlich weiten oder engen oder
     auch unterschiedlich großen Pupillen. Bettlägerige, die reglos
     vor sich hin starrten.
    »Diese Geschwüre«,
     der Arzt deutete auf die betreffenden Aufnahmen, »zeigen das dritte
     Stadium. Die Erscheinungen auf der Haut sind nicht immer so extrem. Die
     Syphilis ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern, das macht einen Teil
     ihrer Gefahr aus. Trotz der Heilmittel, die in den letzten Jahren
     entwickelt wurden, ist es noch immer eine schwere Erkrankung. Ein Tabu.
     Man spricht nicht darüber, und die Erkrankten fühlen sich auch
     heute noch oft wie Aussätzige. Wir haben viel erreicht, aber der Weg
     ist noch lang.«
    Leo atmete tief durch.
     »Danke, Herr Dr. Opitz, das war sehr aufschlussreich. Eine Frage
     noch: Könnte ein Mensch diese Erkrankung verheimlichen?«
    »Eine gewisse Zeit
     schon. Das Endstadium aber raubt dem Kranken nach und nach die Kontrolle
     über seinen Körper, so etwas lässt sich nicht verbergen.«
    Leo bedankte sich noch einmal
     und verabschiedete sich von dem Arzt. Auf dem Heimweg konnte er sich des
     Gefühls nicht erwehren, dass er soeben ein entscheidendes Gespräch
     geführt hatte.
    Er verstand nichts mehr,
     die Welt um ihn herum schien sich aufzulösen. Die Rückfahrt im
     Taxi war entsetzlich gewesen. Regen prasselte gegen die Scheiben, ein
     Gewittersturm rüttelte den Wagen förmlich durch. Er hielt den
     Haltegriff umkrampft, als fürchtete er, aus dem Wagen geschleudert zu
     werden. Nur nach Hause. In die vertraute Umgebung. Allein sein.
    Er fuhr sich durch das
     regenfeuchte Haar, wollte sich an den Abend erinnern, doch sobald er sich
     auf Einzelheiten konzentrierte, verschwamm alles. Dann, als hätte
     jemand einen Schalter betätigt, fügten sich die Bilder zusammen
     und wurden scharf.
    Zu Beginn war alles wie
     immer gewesen. Elegant gekleidete Herren im Smoking, Damen in den neuesten
     Abendroben, dezente Musik, Kerzen in silbernen Kandelabern, gepflegtes
     Geplauder. Ungeduldig hatte er immer wieder zur Tür geschaut, auf
     Viola gewartet. Dann und wann strich er sich unwillkürlich über
     den Arm, der sich immer noch ein wenig leblos anfühlte.
    Als sie eintrat, war sie
     nicht allein. Überrascht wollte er auf sie zugehen, doch irgendetwas
     hielt ihn zurück. Die Vertrautheit, mit der sie den jungen Mann an
     ihrer Seite ansah, die Selbstverständlichkeit, mit der dieser ihren
     Arm nahm und sie in den Salon führte. Hatte er sich geirrt, lag eine
     Verwechslung vor? Aber nein, er kannte doch seine Viola.
    Er folgte ihr in den
     Salon, und als sie ihn endlich sah, kam sie völlig ungezwungen auf
     ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »Wie schön, Sie zu
     sehen. Darf ich Ihnen einen guten Bekannten vorstellen, Herrn Peter
     Cornelissen?«
    Ihr Begleiter verbeugte
     sich.
    Er selbst stellte sich
     auch vor, streckte die Rechte im weißen Glacéhandschuh aus.
     »Angenehm.« Als Cornelissen beiseite trat, um zwei Gläser
     Champagner von einem Tablett zu nehmen, ergriff er die Gelegenheit.
    »Viola, Sie denken
     doch an unsere Verabredung? Wir wollten morgen am Wannsee spazieren gehen.«
    Sie sah ihn verwundert an.
     »Davon ist mir nichts bekannt. Außerdem ist Herr Cornelissen
     aus Hamburg zu Besuch gekommen, ich werde ihn in den nächsten Tagen
     durch Berlin führen und kann daher keine anderen Verabredungen
     wahrnehmen.«
    »Aber mein Brief . .
     .«
    »Welcher Brief? Ich
     habe keinen Brief von Ihnen erhalten.« Sie schaute sich ein wenig
     hilfesuchend nach ihrem Begleiter um. »Da muss ein Missverständnis
     vorliegen.«
    »Nein, ich habe, ich
     wollte –« Er war auf sie zugetreten und hatte die Hand auf
     ihren Arm gelegt. Sie zuckte ein wenig zurück. Er griff fester zu.
     Sie wich nach hinten aus und prallte gegen Herrn Cornelissen.
    »Was ist denn,
     Liebes?« Er schaute

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