Leo Berlin
vorzuführen.«
Er legte eine Mappe auf den
Tisch, der im Zimmer stand, entnahm ihr eine Reihe Photographien und
breitete sie aus. »Ich habe zahlreiche Fälle dokumentiert.«
Leo beugte sich mit einem
etwas flauen Gefühl darüber. Er hatte nie persönlich mit
der Krankheit zu tun gehabt, aber ihr Ruf reichte aus, um ihm Unbehagen zu
bereiten. Er sah Aufnahmen von Hautstellen, die mit Geschwüren und
roten Flecken übersät waren. Von Geschwüren zerfressene Hände.
Ganzkörperaufnahmen von Menschen, die blicklos in die Kamera
starrten, mit schräg gelegtem Kopf und gekrümmtem Rücken.
Großaufnahmen von Augen mit ungewöhnlich weiten oder engen oder
auch unterschiedlich großen Pupillen. Bettlägerige, die reglos
vor sich hin starrten.
»Diese Geschwüre«,
der Arzt deutete auf die betreffenden Aufnahmen, »zeigen das dritte
Stadium. Die Erscheinungen auf der Haut sind nicht immer so extrem. Die
Syphilis ist eine Krankheit mit vielen Gesichtern, das macht einen Teil
ihrer Gefahr aus. Trotz der Heilmittel, die in den letzten Jahren
entwickelt wurden, ist es noch immer eine schwere Erkrankung. Ein Tabu.
Man spricht nicht darüber, und die Erkrankten fühlen sich auch
heute noch oft wie Aussätzige. Wir haben viel erreicht, aber der Weg
ist noch lang.«
Leo atmete tief durch.
»Danke, Herr Dr. Opitz, das war sehr aufschlussreich. Eine Frage
noch: Könnte ein Mensch diese Erkrankung verheimlichen?«
»Eine gewisse Zeit
schon. Das Endstadium aber raubt dem Kranken nach und nach die Kontrolle
über seinen Körper, so etwas lässt sich nicht verbergen.«
Leo bedankte sich noch einmal
und verabschiedete sich von dem Arzt. Auf dem Heimweg konnte er sich des
Gefühls nicht erwehren, dass er soeben ein entscheidendes Gespräch
geführt hatte.
Er verstand nichts mehr,
die Welt um ihn herum schien sich aufzulösen. Die Rückfahrt im
Taxi war entsetzlich gewesen. Regen prasselte gegen die Scheiben, ein
Gewittersturm rüttelte den Wagen förmlich durch. Er hielt den
Haltegriff umkrampft, als fürchtete er, aus dem Wagen geschleudert zu
werden. Nur nach Hause. In die vertraute Umgebung. Allein sein.
Er fuhr sich durch das
regenfeuchte Haar, wollte sich an den Abend erinnern, doch sobald er sich
auf Einzelheiten konzentrierte, verschwamm alles. Dann, als hätte
jemand einen Schalter betätigt, fügten sich die Bilder zusammen
und wurden scharf.
Zu Beginn war alles wie
immer gewesen. Elegant gekleidete Herren im Smoking, Damen in den neuesten
Abendroben, dezente Musik, Kerzen in silbernen Kandelabern, gepflegtes
Geplauder. Ungeduldig hatte er immer wieder zur Tür geschaut, auf
Viola gewartet. Dann und wann strich er sich unwillkürlich über
den Arm, der sich immer noch ein wenig leblos anfühlte.
Als sie eintrat, war sie
nicht allein. Überrascht wollte er auf sie zugehen, doch irgendetwas
hielt ihn zurück. Die Vertrautheit, mit der sie den jungen Mann an
ihrer Seite ansah, die Selbstverständlichkeit, mit der dieser ihren
Arm nahm und sie in den Salon führte. Hatte er sich geirrt, lag eine
Verwechslung vor? Aber nein, er kannte doch seine Viola.
Er folgte ihr in den
Salon, und als sie ihn endlich sah, kam sie völlig ungezwungen auf
ihn zu und schüttelte ihm die Hand. »Wie schön, Sie zu
sehen. Darf ich Ihnen einen guten Bekannten vorstellen, Herrn Peter
Cornelissen?«
Ihr Begleiter verbeugte
sich.
Er selbst stellte sich
auch vor, streckte die Rechte im weißen Glacéhandschuh aus.
»Angenehm.« Als Cornelissen beiseite trat, um zwei Gläser
Champagner von einem Tablett zu nehmen, ergriff er die Gelegenheit.
»Viola, Sie denken
doch an unsere Verabredung? Wir wollten morgen am Wannsee spazieren gehen.«
Sie sah ihn verwundert an.
»Davon ist mir nichts bekannt. Außerdem ist Herr Cornelissen
aus Hamburg zu Besuch gekommen, ich werde ihn in den nächsten Tagen
durch Berlin führen und kann daher keine anderen Verabredungen
wahrnehmen.«
»Aber mein Brief . .
.«
»Welcher Brief? Ich
habe keinen Brief von Ihnen erhalten.« Sie schaute sich ein wenig
hilfesuchend nach ihrem Begleiter um. »Da muss ein Missverständnis
vorliegen.«
»Nein, ich habe, ich
wollte –« Er war auf sie zugetreten und hatte die Hand auf
ihren Arm gelegt. Sie zuckte ein wenig zurück. Er griff fester zu.
Sie wich nach hinten aus und prallte gegen Herrn Cornelissen.
»Was ist denn,
Liebes?« Er schaute
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