Leo Berlin
jedoch nicht
weitergekommen und hatten diese Richtung der Ermittlung aufgegeben, da die
Patienten, die Sartorius am Tag des Mordes aufgesucht hatten, alle
namentlich genannt waren. Wenn nun aber . . .
Leo nahm ein Blatt und
listete alle Initialen auf. Es waren gar nicht so viele, er kam insgesamt
auf zehn Namen, von denen sich manche wiederholten. K. B., V. M., V. D.,
L. L., P. W., S. W., E. P., N. W., A. M., M. E. Er stand auf und lief
umher, als könnte er dabei besser nachdenken. Dann blieb er abrupt
stehen. V. M. – er schlug in der Akte nach. Verena Moltke. So hatte
die junge Frau geheißen, die Sartorius in den Genuss von Kokain
eingeführt hatte. Die Spur hatte nichts ergeben, doch warum war sie
nur mit ihren Initialen vermerkt? Vielleicht gerade wegen des Kokains. Womöglich
standen die Initialen für Patienten, bei denen es Schwierigkeiten
gegeben hatte. Doch wie hatte Sartorius voraussehen können, dass der
Kokainkonsum bei Verena Moltke in einer derartigen Katastrophe enden würde?
Dann kam ihm eine Idee. Er
nahm eine Lupe aus dem Wohnzimmerschrank, beugte sich über den
Terminkalender und schaute sich die Namen genauer an. Bei den ersten
Terminen von Verena Moltke entdeckte er Radierspuren. Denkbar, dass sie
Sartorius zweimal aufgesucht hatte und unter vollem Namen eingetragen
worden war, bevor dem Heiler die Sache zu brenzlig wurde. Also hatte er
den Namen durch die Initialen ersetzt.
Er prüfte die übrigen
Initialen und stieß auf drei weitere Namen, bei denen radiert worden
war: V. D., P. W. und M. E. Er ging die Dankesschreiben durch, fand aber
keine passenden Absender. Aber er war nah dran, das spürte er.
Er würde Viola nicht
einfach aufgeben. Natürlich war die Angelegenheit mit dem Brief ein
peinliches Missverständnis gewesen, das gewiss auf seine
Vergesslichkeit zurückzuführen war, und der Besuch von Herrn
Cornelissen nichts als eine freundschaftliche Aufwartung. All das änderte
nichts an dem kostbaren Band, das zwischen ihnen bestand.
Er kleidete sich mit
besonderer Sorgfalt an. Rehbrauner Anzug mit weißem Hemd und
Seidenkrawatte mit braunem Briefmarkenmuster, englische Maßschuhe
und natürlich exquisite Handschuhe. Heute würde er den Delage
nehmen, da er den Fahrer ungern vor dem Haus der Cramers warten lassen
wollte. Dieser besondere Tag gehörte ihm allein.
»Sie sind heute
ausnehmend elegant, Herr Edel«, bemerkte seine Haushälterin,
als er den Hut von der Garderobe nahm und das Haus verließ.
Er ging in die geräumige
Garage und sagte seinem Chauffeur Ludwig Bescheid, der gerade den Delage
polierte. Ludwig hob den Kopf und rückte die Schirmmütze
zurecht. »Ich bin gleich fertig, Herr Edel.«
Er fuhr beinahe zärtlich
mit der Hand über die Motorhaube des bordeauxrot und cremefarbenen
Wagens. »Es hat keine Eile, er soll heute besonders schön
aussehen. Ein Tag zum Selberfahren. Der Daimler müsste übrigens
auch poliert werden.«
Als Ludwig fertig war,
verbeugte er sich leicht und ließ den Chef einsteigen. Edel lehnte
sich zurück in die Polster, die angenehm nach Leder rochen wie am
ersten Tag.
Er war nur einmal bei den
Cramers gewesen, an jenem ersten Tag, als er Viola kennen lernte. Sie war
die Treppe heruntergeschwebt, so kam es ihm jedenfalls vor, und hatte ihn
mit ihrer natürlichen Anmut verzaubert. Aber sein heutiger Besuch würde,
dessen war er gewiss, den Beginn einer wunderbaren Zukunft bedeuten, in
der er in der gelben Villa ein und aus gehen würde.
Vor dem hübschen
Anwesen hielt er an und parkte mit besonderer Sorgfalt, da ihm der
schnittige Delage mehr am Herzen lag als die große Limousine, mit
der ihn Ludwig jeden Tag in die Firma chauffierte. Sie sollten ruhig
sehen, dass er selber fuhr, er kam sich dabei ausgesprochen sportlich vor.
Er stieg aus, warf einen
Blick auf die Blumenranken, die am Haus emporwuchsen, und betätigte
den Türklopfer, der sich glatt in seine Hand schmiegte.
Frau Cramer öffnete
selbst. Sie sah ihn überrascht an, schien kurz zu überlegen und
ließ ihn dann eintreten.
Bedächtig ging Leo noch
einmal alle Unterlagen durch. Er blätterte den Terminkalender, der
etwa bis zur Hälfte voll geschrieben war, bis hinten durch. Fand
nichts. Wollte ihn zuklappen, als etwas unter seinen Händen
knisterte. Er trat unter die Lampe und strich noch einmal über den
hinteren Innendeckel. Wieder ein Knistern. Da
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