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Leo Berlin

Leo Berlin

Titel: Leo Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Bücherstapel.
    Das Hinterzimmer war winzig,
     an der Wand Regale, ein Schreibtisch, der von weiteren Bücherstapeln
     überquoll, und mittendrin zwei abgewetzte Sessel. In einer Ecke stand
     ein russischer Samowar auf einem Hocker. Sie bot ihm einen Platz an, holte
     zwei Tassen vom Schreibtisch und hantierte am Samowar. »Mit Zucker
     ist der Tee so gerade genießbar. Clara Bleibtreu.« Sie gab ihm
     die Hand.
    »Leo Wechsler. Seit
     wann gehört Ihnen die Bücherei? Beim letzten Mal empfing mich
     ein brummiger, nicht allzu sauberer Alter, und man konnte kaum die Hand
     vor Augen sehen.«
    Clara Bleibtreu lachte.
     »Der hat sich zur Ruhe gesetzt. Ich habe die Bücherei vor zwei
     Monaten übernommen und vollständig renoviert. Das war eine Menge
     Arbeit. Vor allem, wenn man sich das Streichen und Tapezieren erst
     beibringen muss.«
    »Haben Sie das etwa
     alles selbst gemacht?«
    »Das meiste jedenfalls.
     Ich musste sparen.«
    Als Leo sich gesetzt und den
     ersten Schluck Tee getrunken hatte, nahm er sich Zeit, seine Gastgeberin
     zu betrachten. Ende zwanzig, schätzte er, modisch kurzes Haar,
     dunkelbraun mit einem leichten Rotschimmer, blaue Augen, ein kluges
     Gesicht, nicht streng, aber entschlossen.
    »Schön haben Sie
     es hier.«
    »Meinen Sie das ernst?
     Ein bisschen eng ist es schon.«
    Er stellte die Tasse ab und
     sah Frau Bleibtreu offen an. »Natürlich meine ich es ernst.«
     Dann schaute er auf die Uhr und meinte bedauernd: »Zeigen Sie mir
     die Kinderbücher? Ich habe leider noch Arbeit zu Hause.«
    »Aha. Und darf ich
     fragen, worin Ihre Arbeit besteht?«
    »Ich bin bei der
     Kriminalpolizei.« Er sah Clara Bleibtreu prüfend an. »Viele
     Leute erschrecken, wenn sie von meinem Beruf erfahren.«
    »Ich habe nichts zu
     verbergen, Herr Wechsler«, erwiderte sie lächelnd. »Außerdem
     sind Sie ja nicht dienstlich hier.«
    Sie führte ihn in eine
     Ecke der Bücherei, wo ein ganzes Regal mit Kinderbüchern stand,
     davor noch eine Kiste mit Bilderbüchern. »Was mag Ihre Tochter
     denn?«
    »Märchen. Vor
     manchen hat sie Angst, die muss ich ihr dann erklären. Bei
     Schneewittchen mag sie nicht die Stelle, wo der Jäger das Herz
     herausschneiden soll.«
    »Die hat mir auch nie
     gefallen. Wie alt ist sie denn?«
    »Vier.«
    »Wie wäre es
     hiermit?« Sie reichte ihm ein Buch mit dem Titel ›Kinder aus
     aller Welt‹ . Auf dem Einband
     fassten sich Kinder aus vielen Ländern an den Händen und
     bildeten einen Kreis. »Da kann sie sehen und erfahren, wie Kinder in
     China oder Indien leben. Ich finde das Buch sehr schön.«
    Leo blätterte darin.
     »Das nehme ich mit. Was bekommen Sie von mir?«
    »Eine Woche kostet zehn
     Pfennig.«
    »Damit können Sie
     aber auch nicht reich werden«, platzte er heraus. »Verzeihung.«
    »Sie haben schon Recht.
     Deshalb versuche ich, auch Bücher zu verkaufen. Eine richtige
     Buchhandlung wäre mein Traum, aber die konnte ich mir nicht leisten.«
    »Verkaufen Sie auch
     Kinderbücher?«
    Sie nickte und zeigte auf
     eine Kiste. Leo kniete sich hin und suchte ein Märchenbuch mit schönen
     Illustrationen aus. »Das nehme ich auch.«
    Sie packte die Bücher in
     Papier ein und reichte sie ihm über die Theke. »Dann bekomme
     ich zwei Mark zehn. Und schauen Sie mal wieder rein.«
    Das werde ich, dachte Leo,
     als er mit seinem Päckchen draußen stand, ganz bestimmt.

 
    15
    Er breitete die Akten auf dem
     Wohnzimmertisch aus und holte sich eine Kanne Tee aus der Küche. Ilse
     war bereits in ihr Zimmer gegangen. Obwohl sie wieder miteinander
     sprachen, war die Stimmung nicht entspannt genug, um einen gemeinsamen
     Abend im Wohnzimmer zu verbringen. Doch Leo war in Gedanken ohnehin ganz
     woanders.
    Natürlich hätte er
     sich auch in den Fall Klante vertiefen können, aber der Mord an
     Sartorius ließ ihm keine Ruhe. Den Bericht kannte er beinahe
     auswendig, doch er ahnte, dass neue Anhaltspunkte nur aus den Unterlagen
     des Heilers zu gewinnen waren. Die er im Übrigen auch schon mehr als
     einmal gelesen hatte.
    Er schlug den Terminkalender
     auf, dessen Eintragungen am 3. Februar 1917 begannen. Sorgfältig ging
     er alle mit Bleistift ausgefüllten Spalten durch: Datum, Uhrzeit,
     Name. Angaben zum Grund der Konsultation hatte Sartorius nicht gemacht.
     Manche Patienten waren mit ihren Initialen, andere mit vollem Namen
     vermerkt. Sie hatten sämtliche Patienten überprüft, deren
     volle Namen angegeben waren. Bei den Initialen waren sie

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