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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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der Küche Schinken, Spiegeleier und Brot, legten den kleinen Michel schlafen und gingen dann ebenfalls zu Bett. Unter der Decke waren sie einander in traurigem Glück nahe wie lange nicht mehr, und Léon fühlte sich, so schwer ihm das Herz war, seiner Frau schicksalhaft verbunden. Als er aber noch näher zu ihr rückte und ihr den Saum des Nachthemds hochschob, sagte sie: »Nein, Léon. Das nicht. Das nun nicht mehr.«
     
    Am nächsten Morgen ging er zur Arbeit wie an tausend Morgen zuvor. Auf dem Rasen im Park gegenüber lag Schneeflaum, die Straßen waren nass und die Platanen schwarz, und unter den Wurzeln der Bäume dröhnte die Métro. Zu Weihnachten 1928 kaufte er Yvonne in der Rue de Rennes unter Einsatz der gesamten Ersparnisse ein perlenbesetztes Armband, das sie in den vergangenen Monaten, ohne dass er es hätte merken sollen, mehrmals im Vorbeigehen mit hoffnungslos begehrlichen Blicken betrachtet hatte. Auf ein frühlingshaftes Silvester folgte der strenge Winter 1929; im April, als Yvonne einen gesunden Buben namens Yves zur Welt brachte, lag noch immer hart gefrorener, vom Kohlestaub geschwärzter Schnee in der Rue des Écoles.
    Drei Monate später starb an einem Freitagmorgen unerwartet Léons Mutter, als sie auf dem Fischmarkt von Cherbourg Loup de Mer fürs Abendessen kaufen wollte. Sie hatte gerade den in Zeitungspapier gewickelten Fisch entgegengenommen, als in ihrem tüchtigen Gehirn, das achtundfünfzig Jahre einwandfrei funktioniert hatte, ein Blutgerinnsel eine äußerst wichtige Arterie verstopfte. Sie sagte »Au, was soll das!«, griff sich mit der linken Hand an die Schläfe und riss, während sie sich aufs nasse, nach fischigem Eiswasser riechende Pflaster setzte, einen Korb voll Austern hinunter. Als die Fischhändlerin, erschrocken über die leichenblasse Gesichtsfarbe ihrer Kundin, lauthals nach einem Arzt schrie, winkte sie ab und sagte in sachlichem Tonfall: »Lassen Sie mal, das wird nicht nötig sein. Rufen Sie besser die Polizei, die avisiert dann den Amtsarzt und das …« Darauf schloss sie Augen und Mund, als sei nun alles gesehen und gesagt, legte sich seitlich nieder und war tot.
    Die Beerdigung fand an einem stürmischen Frühlingsmorgen statt, an dem Kirschblütenblätter wie Schneeflocken durch die Luft wirbelten. Léon stand am offenen Grab und wunderte sich, wie reibungslos das Ritual ablief – wie geradezu beleidigend einfach es war, einen Menschen, der doch immerhin zeitlebens geliebt, gehasst oder zumindest benötigt worden war, schlicht und einfach zu beerdigen, ad acta zu legen und ohne weitere Umstände aus dem Alltag zu entfernen.
    Tags darauf reiste Léon ab, obwohl erst Samstag war und er noch hätte bleiben können. Er wunderte sich über sich selbst, dass er es so eilig hatte, nach Paris zurückzukehren, und ärgerte sich, dass er dem Vater stotternde Erklärungen gab wie ein sechzehnjähriger Schulschwänzer; erst später sollte ihm klar werden, dass mit dem Tod der Mutter seine Jugend ihren endgültigen Abschluss gefunden hatte und dass den Mann, der er nun war, nichts mehr mit Cherbourg verband.
    Yvonne blieb mit den Buben für ein paar Wochen in Cherbourg, um dem verwitweten Schwiegervater zur Hand zu gehen bei der Auflösung des Hausstands und dem Umzug in eine kleinere Wohnung in der Nähe des Hafens.
    Bei der Rückkehr nach Paris brachte sie eine neue Gewohnheit mit, die Léon anfangs verunsicherte. Diese bestand aus einem schwarzen Wachstuchheft mit rot linierten Seiten, in dem sie frühmorgens vor dem Aufstehen ihre Träume niederschrieb. Léon argwöhnte, dass das Wachstuchheft ein Vorzeichen sei für neue eheliche Turbulenzen; als diese ausblieben, deutete er sie als Spätfolge des Kindbetts oder als Nachbeben seines außerehelichen Abenteuers.
    Yvonne ihrerseits machte kein Geheimnis, aber auch kein Aufsehen aus dem Heft, das immer offen auf ihrem Nachttisch lag; eine Weile vermutete Léon deshalb, es enthalte an ihn gerichtete Botschaften. So nahm er es zur Hand, wenn Yvonne gerade außer Haus war, und blätterte darin. »Nächtliche Eisenbahnfahrt durch verschneite Winterlandschaft«, hieß es da etwa, »irgendwas mit einem Pferd, dann Papa auf dem Sofa.« Dann unter einem anderen Datum: »Léon macht Schießübungen im Garten – was für ein Garten, woher die Pistole, und worauf schießt er?« Oder: »Ich und die Kleinen in der Métro. Loch im Strumpf, Yves brüllt wie am Spieß. Böse Blicke. Furchtbar peinlich. Der Zug fährt endlos weiter

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