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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Sicherheitspolizei war, aber kaum viel älter als Mitte zwanzig sein konnte und einen Bürstenschnitt hatte wie ein Pfadfinder, in seiner ganzen Gefährlichkeit ernst zu nehmen. Dass dieser Welpe ihn tatsächlich beißen könnte mit seinen spitzen Milchzähnen, konnte er sich nicht vorstellen.
    Eines Tages im September aber tauchte Knochen schon frühmorgens auf. Er klopfte scherzhaft den Anfangstakt von Beethovens Schicksalssymphonie an Léons Tür, öffnete sie einen Spalt breit und lugte mit einem Auge hinein.
    »Guten Morgen! Darf ich hereinkommen zu so ungewohnt früher Stunde? Störe ich? Soll ich später nochmal vorbeischauen?«
    »Treten Sie ein«, sagte Léon.
    »Bitte keine falsche Höflichkeit!«, rief Knochen und zeigte nun auch die andere Hälfte seines Gesichts. »Sie sind hier der Hausherr, ich will Sie keinesfalls von der Arbeit abhalten. Falls ich ungelegen komme, kann ich ohne Weiteres …«
    »Treten Sie bitte ein.«
    »Danke, sehr freundlich.«
    »Ich muss Sie aber enttäuschen, so früh am Morgen habe ich erst zwei abholbereite Kopien.«
    »Die Akten? Ach, die vergessen wir jetzt mal. Schauen Sie, ich habe uns etwas mitgebracht – Sie erlauben?« Knochen setzte sich auf einen Stuhl und schnippte mit den Fingern, worauf draußen auf dem Flur ein Soldat ein Tablett vom Rollwagen nahm und an Léons Labortisch brachte. »Schauen Sie – oder vielmehr: Riechen Sie! Echter arabischer Mokka aus einer italienischen Mokkakanne. Das ist etwas anderes als die gefilterte Kriegsbrühe aus gerösteten Eicheln, die Sie sich hier auf Ihrem Bunsenbrenner zusammenbrühen.«
    »Ich danke Ihnen, aber unser Kaffee ist gerade richtig für mich. Mein Kreislauf …«
    »Unsinn, so ein kleiner Mokka hat noch keinen umgebracht! Ich schenke Ihnen ein, Sie erlauben? Sahne, Zucker?«
    »Nichts, danke.«
    »Schwarz ohne irgendwas?«
    »Ich bitte drum.«
    »Oho, Sie sind ein harter Bursche! Ist das Ihre normannische Herkunft? Oder der Beruf? Die vielen Giftmorde, härten die ab gegen die Bitterkeit des Lebens?«
    »Nicht im Geringsten, leider.«
    »Eher im Gegenteil, nicht wahr? Das dachte ich mir schon. Man wird dünnhäutig mit der Zeit, mir geht es genauso. Oder es wird mir so gehen, wenn ich erst mal so … so viel Erfahrung habe wie Sie. Wie finden Sie den Kaffee?«
    »Ausgezeichnet.«
    »Nicht wahr? Ich muss daran denken, Ihrer Abteilung wöchentlich eine Packung zukommen zu lassen. Die Mokkakanne lasse ich hier, die passt gut auf Ihren Bunsenbrenner. Gibt es sonst etwas, das ich für Sie tun kann? Ein Croissant vielleicht?«
    Léon schüttelte den Kopf.
    »Sind Sie sicher? Mein Adjutant hat welche. Ganz frisch, aus echter Butter.«
    »Wirklich nicht, vielen Dank. Machen Sie bitte keine Umstände.«
    »Wie Sie wollen, Monsieur Le Gall. Und sagen Sie mir: Ihr Arbeitsplatz …« – er machte mit seinen kleinen, gepflegten Händen eine umfassende Bewegung – »… ist der soweit in Ordnung?«
    »Aber ja. Ich bin hier alles seit vielen Jahren gewohnt.«
    »Das freut mich zu hören. Denn schauen Sie, mir ist wirklich daran gelegen, dass Sie hier unter bestmöglichen Bedingungen arbeiten können.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Nur unter anständigen Bedingungen kann der Mensch ordentliche Arbeit leisten, sage ich immer. Ist es nicht so?«
    »Jawohl.«
    »Sie müssen es mich unbedingt wissen lassen, wenn ich etwas für Sie tun kann.«
    »Danke sehr.«
    Knochen stand auf und trat ans Fenster. »Eine prächtige Aussicht haben Sie von hier oben. Paris ist doch eine herrliche Stadt. Die schönste Stadt der Welt, wie ich meine. Dagegen ist Berlin einfach, was es nun mal immer gewesen ist – ein preußisches Provinzkaff. Habe ich recht?«
    »Wie Sie meinen, Monsieur.«
    »Waren Sie schon in Berlin?«
    »Nein.«
    »Na ja, gerade viel verpassen Sie nicht, bisher zumindest. Ich selbst bin ja aus Magdeburg, du lieber Himmel. Aber sagen Sie, weiß man als Pariser die Schönheit der Lichterstadt denn zu schätzen? Nehmen Sie die Aussicht überhaupt noch wahr?«
    »Man gewöhnt sich dran. Nach zwanzig Jahren …«
    »Großartig. Die Aussicht ist großartig. Hier drinnen hingegen ist die Beleuchtung doch, wie soll ich sagen, ein wenig fahl, ein bisschen lasch. Sind Sie sicher, dass Sie für Ihre Schreibarbeit genug Licht haben?«
    »Ich komme zurecht.«
    »Wirklich? Das freut mich zu hören. Denn schauen Sie, wir haben hier eine kleine Schwierigkeit.« Er schnippte aufs Neue mit den Fingern, worauf der Adjutant zwei Karteikästen

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