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Léon und Louise: Roman (German Edition)

Léon und Louise: Roman (German Edition)

Titel: Léon und Louise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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hereinbrachte. »Ich will Ihre Zeit nicht mit Kleinigkeiten verschwenden, nur das hier will ich Ihnen kurz zeigen. Wissen Sie, was ich hier habe? Das sind …« – er deutete auf den einen Karteikasten – »… die letzten hundert von Ihrer Hand kopierten Karten. Und das hier …« – er deutete auf den anderen Kasten – »… sind die entsprechenden Originale. Wissen Sie, was mir beim Vergleich dieser zwei Kästen aufgefallen ist?«
    »Was?«
    »Das ist jetzt unangenehm, Sie dürfen es mir nicht krummnehmen, ja?«
    »Ich bitte Sie.«
    »Mir ist aufgefallen, dass Ihnen beim Abschreiben ziemlich viele Fehler unterlaufen. Deshalb bin ich auf den Gedanken gekommen, dass vielleicht die Lichtverhältnisse hier drin nicht ganz optimal sein könnten. Bitte verzeihen Sie die Frage, aber wie steht es mit Ihrem Augenlicht?«
    »Bisher ganz gut.«
    »Wirklich? Sie benötigen noch keine Lesebrille?«
    »Glücklicherweise nicht.«
    »Das ist schön, Sie sind ja nun auch nicht mehr ganz der Jüngste, nicht wahr? Wie alt sind Sie eigentlich, wenn ich fragen darf – vierzig Jahre, nicht wahr?«
    »Die Fehler sind mir unangenehm, Monsieur.«
    Knochen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Natürlich sind das Kleinigkeiten und lässliche Sünden, nehmen Sie das nicht zu schwer. Aber Sie gehen gewiss mit mir darin einig, dass in der Verwaltung kleinste Fehler verheerende Auswirkungen haben können, nicht wahr?«
    »Gewiss.«
    »Ihnen als Wissenschaftler muss ich das nicht erklären, das wusste ich. Schauen Sie, hier zum Beispiel steht Yaruzelskj statt Jaruzelsky. Wenn diese Karte alphabetisch korrekt unter Y eingeordnet wird, finden wir den Mann nie wieder. Oder hier: Rue de l’Avoine statt Rue des Moines – eine Straße dieses Namens gibt es gar nicht. Oder dieses Geburtsdatum: 23. Juli 1961 – der Mann wäre ja noch längst nicht geboren. Verstehen Sie, Monsieur Le Gall?«
    »Jawohl.«
    »Ich habe mir nun erlaubt, alle diese hundert Karten mit den Originalen zu vergleichen und die fehlerhaften zu zählen. Und wissen Sie, wie viele es sind?«
    »Ich bedaure …«
    »Schätzen Sie, na los, schätzen Sie frei heraus! Was meinen Sie: Acht? Fünfzehn? Dreiundzwanzig?«
    Léon zuckte mit den Schultern.
    »Dreiundsiebzig! Dreiundsiebzig von hundert Stück, Monsieur Le Gall! In Prozent sind das, lassen Sie mich rechnen, ich hab’s gleich … ach was, klar, Idiot: Dreiundsiebzig Prozent! Das ist viel, nicht wahr?«
    »In der Tat.«
    »Fast immer sind’s minimale Fehler, keine Frage – aber die gefährlichsten Unwahrheiten sind mäßig entstellte Wahrheiten, wie schon Lichtenberg sagte. Stimmen Sie mir zu?«
    »Gewiss.«
    Knochen machte erneut seine wegwerfende Handbewegung. »Machen Sie sich nichts draus, jedem von uns unterläuft mal ein Fehler. Allerdings muss man sagen, dass Ihnen auffällig viele Fehler unterlaufen. Wissen Sie, wie hoch die durchschnittliche Quote bei Ihren Kollegen ist?«
    »Nein.«
    »Elf Komma neun Prozent.«
    »Ich verstehe.«
    »Das ist gut, dass Sie mich verstehen. Wichtig ist jetzt, dass wir die Fehlerquelle beseitigen, damit Besserung eintritt, nicht wahr? Nicht wahr, Monsieur Le Gall?«
    »Ja.«
    »Haben Sie eine Erklärung für Ihre hohe Quote?«
    »Manche Karten sind schwer zu entziffern.«
    »Gewiss«, sagte Knochen. »Aber Ihre Kollegen müssen mit genauso schadhaftem Material fertig werden, nicht wahr? Oder halten Sie es für denkbar, dass sich bei Ihnen schwer beschädigte Karten in statistisch relevantem Maß häufen? Und wäre diese Häufung zufällig, oder müssten wir nach den Ursachen suchen?«
    Léon zuckte mit den Schultern.
    «Sehen Sie, deswegen habe ich mir Gedanken um Lampen und Lesebrillen gemacht. Es muss ja eine Erklärung dafür geben, dass Ihnen so viele Fehler unterlaufen. Natürlich schreien meine Kollegen von der SS bei solchen Quoten gleich Sabotage und Hochverrat. Haben Sie schon Bekanntschaft mit der SS gemacht?«
    »Nein.«
    »Es gibt da bei denen, unter uns gesagt, ein paar wirklich schlimme Hitzköpfe, denen ich nicht bei Nacht in einer dunklen Gasse begegnen möchte. Wissen Sie, was die mit Saboteuren machen? Zuerst so allerlei, und dann bringen sie sie nach Drancy und stellen sie an die Wand. Oder sie schmeißen sie gefesselt in die Seine. Oder lassen sie mit Genickschuss im nächsten Straßengraben liegen. Kriegsrecht. Die dürfen das.«
    »Ich verstehe.«
    »Heißblütige junge Spunde sind das. Nicht alle sehr gut erzogen, was soll man machen. Aber keine Sorge,

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