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Leonard Bernstein

Leonard Bernstein

Titel: Leonard Bernstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Cott
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Sofa und ihr altes Klavier bei uns abstellte. Ich war zehn zu dieser Zeit, und ich erinnere mich, dass dieses Klavier ein Mandolinenpedal hatte – wenn man es drückte, gab es so einen verknautschten Mandolinenklang. Ich legte meine Hände nur auf die Tasten – berührte sie – und war Feuer und Flamme … fürs ganze Leben.
    Nur eine Berührung …
    Sie wissen ja, wie es ist, sich zu verlieben. Sind Sie je verliebt gewesen? Sie sind ja schon alt genug.
    »Ein liebender alter Mann ist wie eine Blume im Winter.« Sagen die Portugiesen.
    Wie alt sind Sie?
    Sechsundvierzig.
    Ein Kind! Ich bin ein Vierteljahrhundert älter, lieber Himmel!
    »You were so much older then, you’re younger than that now.« Sagt Bob Dylan.
    Ich war zehn, als ich die Klaviertasten zum ersten Mal berührte … Und das war, bevor ich je eine Erektion hatte.
    Ich glaube, auch kleine Jungs haben schon Erektionen.
    Ja, klar, aber ich meine eine Erektion, wenn man sie braucht . [Er lacht.] Und das war bei mir dann mit elf der Fall! Aber mit zehn berührte ich das Klavier, und von diesem Tag an bis zum heutigen hat sich mein Leben immer nur darum gedreht.
    Ich wünschte, ich wüsste, was für einen Akkord Sie damals spielten. Aber was taten Sie, nachdem Sie sich verliebt hatten?
    Zuerst brachte ich mir selbst das Klavierspielen bei und erfand mein eigenes Harmoniesystem.
    Ich habe irgendwo gelesen, dass Sie schon mit drei oder vier Jahren Musikstücke erkennen konnten.
    Das sagt nur meine Mutter, wissen Sie. Aber dann wollte ich unbedingt Klavierunterricht bekommen, einmal in der Woche, und ich bekam ihn auch. Es kostete einen Dollar pro Stunde, und ein Mädchen aus der Nachbarschaft unterrichtete mich, eine gewisse Miss Karp. Frieda Karp. Ich war hingerissen von ihr, liebte sie abgöttisch. Sie brachte mir Anfängerstücke bei wie »The Mountain Belle«. Und alles lief glatt, bis ich anfing, Dinge zu spielen – wahrscheinlich spielte ich sie sehr schlecht –, die sie nicht konnte. Miss Karp kam mit meinen Chopin-Balladen nicht mit. Deshalb sagte sie meinem Vater, nach ungefähr einem Jahr, er solle mich auf das New England Conservatory of Music schicken. Dort erhielt ich Unterricht von einer gewissen Miss Susan Williams, die pro Stunde drei Dollar nahm. Das war für meinen Vater ein Problem, und er fing an zu lamentieren: »Du willst also ein Klezmer werden?« Für ihn war ein Klezmer – verstehen Sie, das war in Osteuropa ein wandernder Musikant, dem man ein paar Kopeken hinwarf und der dafür bei Hochzeiten und Bar-Mizwas aufspielte. So jemand war kaum mehr als ein Bettler. Und das war ungefähr alles, was mein Vater über Musiker wusste.
    Aber dann ging ich ein paar Monate später zu einem Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow in der Symphony Hall – es war im selben Jahr, in dem ich auch das Konzert der Boston Pops hörte –, und mein Vater war genauso erstaunt wie ich, als er sah, dass Tausende von Leuten scharenweise Tickets kauften und dafür bezahlten , einen Menschen Klavier spielen zu sehen. Und es war eine Offenbarung – Rachmaninow war ein unglaublicher Pianist. Aber immer noch scheute mein Vater davor zurück, mir die Klavierstunden für drei Dollar zu bezahlen. Einen Dollar für den Unterricht und einen Vierteldollar Taschengeld, das war alles, was er mir für meine Musik gab. Also fing ich an, in kleinen Jazzgruppen zu musizieren, und wir spielten auf … Hochzeiten und Bar-Mizwas! [Er lacht.] Klezmers! Der Saxofonist in unserer Gruppe hatte sich die Arrangements für den »St. Louis Blues« und »Deep Night« besorgt, außerdem haufenweise Songs von Irving Berlin … und ich kam um zwei Uhr nachts nach Hause, hatte wunde Finger und zwei Dollar in der Tasche, wenn es gut lief, und die flossen direkt in meine Klavierstunden.
    Mit meiner neuen Lehrerin, Miss Williams, lief es weniger gut. Sie unterrichtete nach irgendeinem System, das darauf basierte, dass man nie seine Fingerknöchel zeigte. So eine unglaubliche Idee! Ich weiß noch, wie sie sagte: »Du bist ein Tollpatsch, wenn du deine Knöchel zeigst. Kamele haben Höcker, und Kamele sind tollpatschig. Also sei kein Kamel! Du musst deine Hände immer flach halten.« Können Sie sich das vorstellen, zum Beispiel die »Ungarische Rhapsodie« von Liszt so zu spielen? Also suchte ich mir eine andere Lehrerin … die sechs Dollar pro Stunde kostete … und deshalb musste ich noch mehr Jazz spielen. Ich saß ständig am Klavier, und manchmal ging das zulasten meiner Hausaufgaben

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