Leonardo und der Fluch des schwarzen Todes (Da Vincis Fälle) (German Edition)
einem Dorfjungen seine Sammlung von Schriften zeigen!“
„Mein Vater arbeitet als Notar für Cosimo!“, wandte Leonardo ein.
„Nicht mal dann!“, war Edoardo überzeugt.
„Aber das wäre zumindest eine Erklärung“, sagte Doktor Petronius. „Denn Cosimo de’ Medici sammelt alte Schriften. Das ist weithin bekannt.“ Doktor Petronius lächelte. „Das Interesse an alten Schrif-
ten habe ich mit dem großen Cosimo gemeinsam – auch wenn ich mir diese Dinge niemals kaufen könnte und sie mir höchstens in einer Bibliothek ansehen kann…“
„Ihr habt gesagt, Ihr wüsstet etwas über den Vogelmann.“
„Das ist Thot, der Gott des Mondes, der Magie und der Wissenschaft. Die Römer nannten ihn Lunus und die Griechen verehrten ihn als Götterboten Hermes. Der Heilige Ibis war Thots Wahrzeichen. Es gibt ihn nur in Ägypten.“
„Wisst Ihr noch mehr über diesen Vogel?“
„Nein, tut mir Leid. Und ehrlich gesagt finde ich, dass du jetzt nach Haue gehen und schlafen solltest. Auf jeden Fall möchte ich in dieser Nacht nicht mehr gestört werden…“
„Entschuldigt, Doktor Petronius“, gab Leonardo zurück und deutete eine Verbeugung an, wie er es im Palast der Familie Medici gesehen hatte. Leonardo fand, dass das ziemlich vornehm aussah.
Doktor Petronius schien hingegen davon kaum beeindruckt zu sein.
„So geh!“, bekräftigte der Arzt noch einmal seinen Wunsch.
Leonardo sah ein, dass es keinen Sinn hatte, darauf zu hoffen, dass man ihm doch noch gestattete, an den Mumien herumzuforschen.
Dazu – so hatte er inzwischen eingesehen, waren sie wohl einfach zu wertvoll.
Anstatt zurück zu Großvaters Haus zu gehen, machte Leonardo einen Bogen und näherte sich dabei der Scheune, die man Alberto zugewiesen hatte. Er ging diesmal sogar näher heran als sonst, denn schließlich konnte er ja nicht laut durch die Nacht schreien und womöglich andere Dorfbewohner auf sich aufmerksam machen.
„Alberto! Hat es schon gewirkt?“, fragte Leonardo schließlich.
„Aber er bekam keine Antwort. Auch, nachdem er sich noch ein paar Schritte genähert hatte, blieb der Junge stumm.
Am nächsten Tag stand Leonardo schon in aller Frühe auf.
Er vertrieb sich die Zeit damit, sich noch einmal mit der Abschrift des Papyrus zu beschäftigen und dachte über das nach, was Doktor Petronius über den Ibis und den Gott Thot gesagt hatte.
Wenn Thot der Mondgott gewesen war, vielleicht handelte ja der ganze Text über den Mond?
Leonardo konnte sich jedoch nicht richtig darauf konzentrieren.
Etwas lustlos zeichnete er einige der Figuren und auf eines der Blät-ter aus seinem Papiervorrat.
Etwas später verfolgte das ganze Dorf, wie Doktor Petronius zu Albertos Scheune ging.
Auch Leonardo verfolgte das genau. Als sich zu den andere Schaulustigen begab, traf er auch Carlo.
„Mein Vater will sich eine ganze Ibis-Mumie kaufen, wenn dieser Junge tatsächlich geheilt sein sollte!“, erzählte er ihm. „Aber das Re-sultat will er natürlich erst noch abwarten.“
Doktor Petronius blieb einige Zeit bei dem Jungen in der Scheune.
Dann trat er wieder hervor und verkündete: „Dieser arme Betteljunge, der vom Schwarzen Tod schon gezeichnet war, ist ganz gesund geworden. Es gibt keine einzige Pestbeule mehr an ihm!“
Ein Raunen ging durch die Reihen der Dörfler. Hier und da zählte man schon das Geld.
„Das will ich mit eigenen Augen sehen!“, rief Alessio der Schlachter.
„So komm nur her!“, forderte Doktor Petronius ihn auf. „Komm her und sieh es dir an. Der Junge ist noch etwas geschwächt und sollte sich noch ein paar Tage ausruhen. Aber ansonsten fehlt ihm nichts!“
Der Schlachter zögerte. Er schien sich nicht so recht zu trauen.
Vielleicht war der Junge ja trotz allem noch ansteckend und ihn um-gab immer noch der böse Atem, von dem man glaubte, dass er die Krankheit verursachte.
„Na los, wenn du es schon gefordert hast, dann musst du jetzt auch hingehen“, meinte eine der Frauen.
„Und was ist mit dir?“, wurde sie von einer anderen gefragt.
„Ich möchte es sehen!“, rief Leonardo und drängelte sich vor, ehe sein Großvater oder sein Vater ihn daran hindern konnten.
„Leonardo!“, rief Großvater, was aber im allgemeinen Geraune unterging.
Es war nicht so, dass Leonardo keine Angst hatte. In Wahrheit fühlte er sich sogar ziemlich unwohl bei dem Gedanken, zu Alberto in die Scheune zu gehen. Aber andererseits dachte er sich: Niemand kann eine große Entdeckung oder Erfindung
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