Leonardo und der Fluch des schwarzen Todes (Da Vincis Fälle) (German Edition)
machen, wenn er nicht wenigstens ein bisschen Mut hat.
„Leonardo!“, riefen Großvater und Ser Piero noch einmal und diesmal wie aus einem Mund.
„Was soll denn passieren?“, rief Leonardo zurück. „Doktor Petronius hat es selbst ja auch gewagt – also wird es ungefährlich sein, denn er will doch mit seiner Mumiensalbe Geld verdienen und sich nicht anstecken!“
„Sehr richtig, Junge“, nickte Petronius.
Da wollte dann aber auch der Pfarrer nicht zurückstehen und erklärte sich ebenfalls bereit.
„Wir sind alle in Gottes Hand“, sagte er.
So erklärten sich dann auch Großvater und Ser Piero bereit, mit in die Scheune zu gehen. Dadurch war der Druck auf den Schlachter Alessio so groß geworden, dass er jetzt auch nicht mehr anders konnte, als voranzugehen.
Dass er sich dabei überhaupt nicht wohl fühlte war ihm deutlich anzusehen. Sein Gesicht war nämlich ganz bleich.
Aber nun konnte er nicht mehr zurück.
So ließ sich die Gruppe der Mutigen von Doktor Petronius in die Scheune führen. Alberto wirkte gut gelaunt. Er aß einen Apfel, der bei dem Proviant gewesen war, den Leonardo ihm hingestellt hatte.
Die dunklen Ringe unter den Augen waren jedenfalls verschwunden. Er hatte auch keine Flecken mehr im Gesicht.
„Es geht mir gut“, sagte er. „Ein bisschen wackelig auf den Beinen, und die Angst habe ich auch noch nicht überwunden – aber es gibt kein Geschwür mehr.“ Er hob den Apfel und verzog das Gesicht. „Diese Sorte ist nicht gerade das Gelbe vom Ei. Viel zu sauer.
Aber leider hatte ich alles andere schon aufgegessen, was man mir gegeben hatte…“
„Ich werde dafür sorgen, dass du von einer anderen Sorte ein paar Äpfel bekommst“, versprach der Pfarrer.
„Gut, dann werde ich den hier auch nicht weiter essen“, sagte Alberto und warf ihn zur Seite.
„Ich möchte erst den Rücken und den Oberkörper sehen!“, forderte der Schlachter. „Vielleicht hat er ja am Körper noch Geschwüre!“
„Ein guter Einwand!“, lobte Doktor Petronius. „Ich denke, Alberto wird nichts dagegen haben, wenn ihr euch alles anseht, was ihr sehen müsst!“
Alberto zog daraufhin sein Gewand aus.
„Er sieht aus wie frisch gewaschen“, stellte der Schlachter Alessio überrascht fest.
„Das bin ich auch“, erwiderte Alberto. „Heute Morgen in aller Frühe juckten die Stellen so, auf denen die Salbe aufgetragen war.
Hier in der Nähe fließt ja ein Bach und dort habe ich dann alles abge-waschen. Und siehe da – es war nichts mehr zu sehen!“
Als das Ergebnis den anderen Bewohnern von Vinci verkündet wurde und niemand von denen, die Alberto gesehen hatten, daran zweifelten, dass er wirklich gesund war, lief das Geschäft mit der Salbe natürlich wie geschmiert.
Doktor Petronius baute eine Presse auf, die eigentlich wohl dazu gedacht war, Saft aus Früchten heraus zu pressen. Vor aller Augen presste er die dunklen, öligen Bestandteile aus der Mumie heraus, füllte sie in kleine Döschen und verkaufte sie dann in winzigen Mengen.
Edoardo ging ihm dabei zur Hand und Leonardo konnte den ganzen Tag über von seinem Fenster aus beobachten, wie die Menschen von Vinci zu ihm strömten. Manche mussten sich wohl erst bei Verwandten oder Bekannten Geld leihen, andere brachten Familien-schmuck mit. Auch ein teures Paar Reiterstiefel, eine Axt und mehrere Küchenmesser wurden von Doktor Petronius als Zahlungsmittel akzeptiert.
Carlos Vater war der Erste, der sich dazu entschloss, eine ganze Mumie des Heiligen Ibis zu erwerben.
„Leider können wir uns nur eine Mumie leisten“, berichtete Carlo, als er Leonardo später besuchte. „Denn mein Vater denkt natürlich daran, dass man so eine Mumie ja problemlos in unserem kühlen Keller aufbewahren kann. Wenn dann der Schwarze Tod nochmal ausbricht, kann man diese ölige Tinktur dann in kleinen Mengen ver-
kaufen, wie dieser Arzt das auch macht und dabei einen Riesenge-winn machen. Eine Saftpresse haben wir nämlich sowieso!“
„Und wieso kann sich dein Vater keine zweite Mumie leisten? Er ist doch wahrscheinlich der reichste Mann in ganz Vinci!“
„Reich schon – aber nicht reich an Geld. Er hat vor kurzem erst viel Ware bezahlen müssen. Die muss er erst weiterverkaufen. Und dieser Doktor Petronius will nichts davon als Tauschware annehmen, weil er meint, das seien alles schnell verderbliche Dinge, die man nicht lange aufbewahren kann.“
„Wahrscheinlich fürchtet dieser Doktor nur die Konkurrenz!“, vermutete
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