Leonardos Drachen
Portal des Hauptgebäudes empor.
Die Wachen vor der schweren Eingangstür hatten ihre Hellebarden gekreuzt, nahmen sie aber nun zur Seite und öffneten.
Dann ging es durch hohe Säulengänge. Überall waren Säulen mit Verzierungen zu sehen sowie Reliefs von griechischen Gottheiten und Gemälde, die Persönlichkeiten aus der Ahnenreihe der Familie Medici zeigten. Schon an der zunehmenden Pracht der Gewänder konnte man sehen, was für einen unglaublichen Aufstieg diese Familie hinter sich hatte. Von einfachen Woll- und Tuchhändlern, wie es viele in Florenz gab, hatten sie es zur Herrschaft über die Stadt und des gesamten Umlandes gebracht. Von den nahen Bergen bis zur Küste bei Pisa reichte das Gebiet, das sie von Florenz aus regierten. Aber ihr Einfluss ging noch weit darüber hinaus, denn sie betrieben die mit Abstand mächtigste Bank, die überall in den großen Handelsstädten an der Mittelmeerküste Niederlassungen hatte. Sie hatten eine Erfindung der Araber übernommen und ließen jeden, der das wollte, bei ihrer Bank Gold und Silber gegen einen Wechselbrief tauschen. Dieser Wechsel ließ sich leicht in der Kleidung transportieren, und man konnte ihn in jeder Niederlassung der Medici-Bank zurücktauschen. Für Kaufleute war das ein Segen, denn nun brauchten sie nicht mehr ganze Wagenladungen mit Gold und Silberdurch die Lande fahren, was nur Diebe anlockte. Stattdessen genügte ein Wechsel, der oft auch Banknote genannt wurde. Und immer häufiger tauschte man die Banknote gar nicht mehr in Gold oder Silber um, sondern bezahlte gleich mit den Papieren der Medici-Bank. Vielerorts wurden sie nämlich inzwischen genauso gerne genommen wie Münzen.
Durch ihre Bank waren die Medici so unermesslich reich geworden – und vor allem mächtig. Wer konnte jetzt noch ohne ihre Banknoten große Geschäfte machen? Selbst Könige, Fürsten und der Papst waren auf die Dienste ihrer Bank angewiesen und viele hatten hohe Schulden bei den Medici.
Sie gelangten in einen festlichen Audienzsaal. Viele Mitglieder der ehrenwerten Familien von Florenz hatten sich hier schon eingefunden. Auch wenn manche von ihnen die Medici-Familie am liebsten aus der Stadt gejagt hätten, so hätte es doch niemand gewagt, dies öffentlich kundzutun oder gar einer Einladung des Stadtherrn fernzubleiben. Leonardo sah seinen Vater. Er hatte sich auch etwas herausgeputzt und die besten Sachen angezogen. Allerdings wirkten die gegenüber den prächtigen Gewändern der hohen Herrschaften immer noch sehr einfach.
„Schön, dass ihr da seid! Dann hat ja alles geklappt“, sagte Ser Piero. „Der Stadtherr hat diese Zusammenkunft ganz plötzlich einberufen. Selbst ich als sein Notar wusste bis heute Mittag nichts davon. Aber Herr de’ Medici wollte kein Risiko eingehen.“
„Du meinst, er befürchtete, dass jemand versuchen könnte, den missglückten Mordanschlag zu wiederholen“,meinte Leonardo. Er verstand sofort, worauf sein Vater hinauswollte.
Ser Piero nickte. „Ja, so ist es. Und leider waren bisher alle Bemühungen vergebens, die Spur der Täter wieder aufzunehmen.“
„Aber die Hakenbüchsen! Die müssen doch irgendwo herkommen! Irgendwer muss das Pulver gekauft haben – und zwar eine Menge davon. Und Kugeln! So was müsste doch aufgefallen sein.“
„Aber wir wissen nicht, ob diese Dinge nicht vielleicht auch in einem weit entfernten Ort gekauft und hierher gebracht worden sind, Leonardo.“
„Ich fürchte eher, dass man einfach nicht meine Ratschläge befolgt hat!“
Ser Piero lachte kurz auf, sodass einige der anderen Gäste zu ihm hinüberschauten. „Was glaubst du denn, wer du bist, Leonardo, dass der Stadtherr von Florenz deine Ratschläge befolgen sollte? Er befolgt ja nicht einmal meine, und ich bin ein erfahrener Notar, der von Verträgen und Geschäften inzwischen mindestens genauso viel versteht wie er. Nein, ein Herr de’ Medici tut einfach, was ihm gefällt!“ Ser Piero beugte sich zu Leonardo hinab und flüsterte ihm ins Ohr. „Und abgesehen davon traut er im Moment auch niemandem. Nicht einmal der Stadtwache! Ja, selbst unter seinen eigenen Leuten wittert er überall Verräter.“
„Vermutlich auch zu Recht“, glaubte Leonardo. „Und ich könnte mir vorstellen, dass es in so einem großen Palast sowieso keine Geheimnisse gibt. Da kann immer hinter der nächsten Ecke jemand im Säulengangverborgen sein und lauschen, um es dann gleich weiterzuerzählen.“
„Schau mal nach links, Junge. Da siehst du die
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