Leonardos Liebesbiss
nicht so vorkamen. Sie waren irgendwie anders, und sie hätten nicht einmal ins Tierreich gepaßt, dachte ich zumindest. Rot geäderte Augäpfel. Kleine, dünne Blutfäden um zwei Pupillen, die fast farblos waren. Sie wirkten wie aus dünnem Glas und hoben sich vom Hintergrund so gut wie nicht ab. Obwohl sie mich anstarrten, überkam mich der Eindruck, daß sie sich in ständiger Bewegung befanden. Sie schwammen mal nach rechts, dann wieder nach links, als wollten sie sich in irgendeinem Tränenwasser verlieren.
Auf der sehr blassen Haut malten sich einige Sommersprossen ab. Auch nicht kräftig und erst zu sehen, wenn man genau und konzentriert hinschaute.
Der Albino hatte die Brille abgenommen und hielt sie an einem Bügel fest. Lässig schlenkerte er sie um die Hand. So wie er aussah, gab er sich ganz als Herr der Lage.
»Was sollte das – he?«
»Was?«
»Sie sind mir vor den Wagen gelaufen! Sind Sie ein Selbstmörder, Mister? Wenn ja, dann nehmen Sie demnächst einen Zug.« Seine Stimme hatte aggressiv geklungen. Wie bei einem Menschen, der es gewohnt war, andere einzuschüchtern. Da war er allerdings bei mir an der falschen Adresse. Ich schüttelte den Kopf.
»Sie sollten sich an die eigene Nase fassen. Sie sind hier aufgetaucht wie vom Himmel gefallen.«
»Oder aus der Hölle gestiegen«, erwiderte er lachend.
»Meinetwegen auch das.«
»Mir können Sie keine Schuld einreden.«
»Sie sind zu schnell gefahren.«
»Scheiße.«
»Sie hätten hupen können!«
»Habe ich.«
»Zu spät!«
»Das müssen Sie schon mir überlassen.«
»Dann könnte man Ihr Verhalten als Mordversuch interpretieren.« Ich war nicht bereit, mich von ihm einschüchtern zu lassen. Das konnte er mit anderen machen, nicht mit mir.
Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet. Für einen Moment war er starr wie eine Statue. Er glotzte mich an, der Mund blieb offen, und dann schüttelte er den Kopf. »Das darf doch nicht wahr sein. Muß ich mir von einem wie dir so etwas sagen lassen?« Unerwartet heftig und schnell schoß seine Hand vor. Er setzte sich auch noch in Bewegung und bekam mich zu packen. Den Stoß gegen die Brust konnte ich nicht mehr abfangen. Er stieß mich zurück bis gegen die Hauswand, an der ich stehenblieb.
Er wollte noch einmal zugreifen. Diesmal würde ich es mir nicht gefallen lassen.
Es kam nicht mehr dazu.
Ein Fluch fegte mir entgegne. Dann sprang der Mann zurück und starrte seine rechte Faust an, als wäre etwas Schreckliches damit passiert. Sie sah völlig normal aus, war nicht verletzt, denn sie hatte mich beim zweiten Zugriff nicht einmal berührt.
»Haben Sie Probleme?« fragte ich.
Er hob den Blick. Seine Augen waren noch immer farblos, aber ich las auch etwas anderes darin. So etwas wie Haß und eine wahnsinnige Wut. »Nein, ich habe keine Probleme mehr, Mister. Aber ich rate Ihnen, nie mehr in meine Nähe zu kommen. Wenn das passiert, dann bekommen Sie Probleme, und zwar so große, wie Sie noch nie erlebt haben. Ist das klar?«
»Ich kann gut hören.«
»Okay.« Er glotzte mich noch einmal an. Diesmal sah ich eine gewisse Unsicherheit bei ihm. Irgendwie hatte er seine Probleme mit mir bekommen und kam nicht zurecht.
Dann zog er sich zurück. Diesmal stieg er schnell in das Fahrerhaus seines langen Wohnmobils. Bevor er startete, setzte er seine Sonnenbrille auf und drehte mir den Kopf zu.
Auf seinen Lippen sah ich ein eisiges Lächeln. Es war für mich so etwas wie eine Drohung.
Dann sprang der Motor an. Durch den Wagen lief ein Zittern. Er rollte langsam an mir vorbei und ebenfalls die Beschriftung, die ich noch einmal las.
»Leos Geisterbahn«, flüsterte ich. Wer sich so etwas auf sein Fahrzeug pinselte, tat das bestimmt nicht nur aus Spaß. Da mußte mehr dahinterstecken. Ich konnte mir gut vorstellen, daß dieser Mensch der Besitzer der Geisterbahn war.
Und noch etwas fiel mir auf. Obwohl die Seiten des Fahrzeugs mit großen Scheiben bestückt waren, gelang es mir nicht, in das Innere des Fahrzeugs zu schauen. Alle Fenster waren verhängt. Auch das letzte. Aber dahinter bewegte sich der Vorhang oder das Rollo. Es wurde nicht in die Höhe gezogen. Eine schmale Hand schob es ein Stück zur Seite. Für einen Moment sah ich ein bleiches Frauengesicht, das von sehr dunklen Haaren umrahmt wurde.
Dann war das Gesicht verschwunden.
Der Wagen fuhr schneller. An der nächsten Einmündung bog er nach rechts. So schnell wie er gekommen war, so rasch war er auch wieder verschwunden.
Ich
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