Léonide (German Edition)
Fassungslosigkeit und Verwirrung wider. Er reibt sich mit dem Finger über die Li p pen, die feucht sind und rot, eine Geste, die überhaupt nicht zu ihm passt. Er wiederholt meinen Namen, ein Wort, das so viel mehr impliziert: Was habe ich getan? Habe ich einen Fehler g e macht? Warum hast du nicht reagiert?
Mein Hals ist eng und in meiner Kehle hat sich ein Kloß g e bildet. Mit wachsender Verwirrung beobachte ich, wie Frédéric den Blick senkt. Angst, Erschütterung, Erregung. Der Kloß in meiner Kehle lässt sich nicht h in unterschlucken . Ich stehe vö l lig neben mir, bemerke kaum das Zittern meines Körpers, das Keuchen meines Atems.
Ich mache einen Schritt – klein, so klein – und packe Frédéric beim Kragen.
Er hebt den Blick, und seine Worte sind weicher Nebel. »Hasst du mich?« Seine Stimme klingt heiser, dann bricht sie.
Ich antworte nicht, sondern streife mit meinen Lippen seine, ganz leicht nur und ein wenig unbeholfen. Ich höre, wie schwer es Frédéric fällt, zu atmen.
Diesmal sind seine Bewegungen langsam und weniger fahrig. Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und streicht mit dem Daumen über mein Kinn und meine Unterlippe. Als er sich zu mir hinunterbeugt und meine Schläfen und Augenl i der küsst, beginne ich zu zittern.
Wie soll ich beschreiben, wie ich mich fühle? Bis zu dem Augenblick, in dem Frédéric mich geküsst hat, habe ich meine Gefühle nicht zu deuten gewusst . B is ich ihn geküsst habe, wusste ich nicht, dass die Liebe zu einem Mann nichts mit Schwäche oder Unterwerfung zu tun hat. Es ist eine Überei n kunft, kein Kampf um das Recht auf Unabhängigkeit, und mir kommt nicht einmal der Gedanke, dass das, was ich tue, sich vielleicht nicht gehört.
Fasziniert beobachte ich die Bewegungen von Frédérics Händen. Er ist behutsam, als ob er befürchtet, ich könnte mich vor seinen Augen in Luft auflösen oder zerbrechen. Es braucht einige Überzeugungsarbeit, bis er mir glaubt, dass ich weder zerbrechlich noch in der Lage bin, mich unsichtbar zu machen. Das bringt ihn zum Lachen, und er küsst meinen Scheitel, meine Mundwinkel, meine Ohrläppchen und mein Schlüsselbein, bis meine Haut brennt und von einer Gäns e haut überzogen ist.
Seine Augen lassen meine nicht los, als er mich aufs Bett legt. Unsere erhitzten Körper finden ganz von selbst zueina n der. Es durchzuckt mich nur einen Moment, und Frédéric wa r tet auf mich und bewegt sich langsam, bis ich mich an das Neue gewöhnt habe. Dieser Mann wird dir niemals wehtun, ganz gleich, für wie unbeherrscht er sich halten mag . Wieder finden sich unsere Münder, diesmal nicht langsam, sondern als gierige B e gegnung von Lippen, Zungen und Zähnen. Ich lasse mich mi t reißen und tauche nicht wieder auf, g e be mich dem Wirbel von Farben, dem Brennen von Lippen auf Haut und dem G e schmack von Salz auf meiner Zunge hin. Beben, zucken. Frédérics Arme und der tiefe Rhythmus, den ich bis zu diesem Augenblick nicht gekannt habe und der uralt ist, sein G e schmack, der mich den Schmerz vergessen lässt. Ich spüre, wie ich unter Frédérics Berührung zerfließe wie Wasser und neu erschaffen werde, wie das Rasen und T o ben mich mitreißt und wie ein Wildfeuer verzehrt. Als sich unsere Lippen voneina n der lösen, sehe ich einen Schatten der Erinnerung in seinen Augen, eine Mischung aus Schmerz und Freude, Staunen und Begierde. Unsere Bewegungen hallen in meinem Inneren w i der wie ein tiefer, gleichmäßiger Trommelschlag, und ich la u sche den Geräuschen und dem Spiel der Muskeln, spüre das sehnsüchtige Lockern und Zusammenzi e hen und die Wärme in meinem Körper. Ich stehe dem Unb e kannten gegenüber und fühle mich unwissend, während ich zugleich gespannt d a rauf warte, das Wissen über dieses Neue in mir aufzunehmen. Als es geschieht und seine Wildheit sich in mir ergießt, keucht und zittert er. Wir liegen schweigend beieinander, und alles ist anders.
Es ist eine Nacht voller Sterne, die den Horizont erhellen und die Kammer in ein schwaches Licht tauchen. Irgendwann ist Frédéric aufgestanden, um ein Feuer zu machen, und nun, da er wieder neben mir liegt, beobachte ich, wie der Schein der Flammen seinen hellen Körper überzieht, den weichen Schwung seiner Hüfte n und Brust nachfährt und sich warm auf seine geschlossenen Augenlider legt. Sein Atem ist leicht und regelmäßig, nicht rau und keuchend wie noch wenige Stunden zuvor. Seine langen, dunklen Wimpern und seine Haare auf den
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