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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Blickkontakt konnte ein Mord motiv sein, selbst wenn es ganz unabsichtlich geschah. Deshalb drehte der Mann sich nicht um, als Harry eintrat. Auch nicht, als er unendlich vorsichtig das Schloss der Tür verriegelte und sich von hinten näherte, ja nicht einmal, als er den Lauf des Revolvers in den Stiernacken des Mannes presste und ihm das eine Wort zuflüsterte, das laut einem Kollegen von Harry jeder Polizist wenigstens einmal in seiner Karriere sagen dürfen sollte:
    »Freeze.«
    Der Mann folgte seiner Aufforderung, und Harry beobachtete, wie der glattrasierte Nacken eine Gänsehaut bekam.
    »Hands up.«
    Der Mann streckte ein Paar kurze, kräftige Arme über den Kopf. Harry beugte sich vor. Und begriff im selben Moment, dass er einen Fehler gemacht hatte. Die Schnelligkeit seines Gegenübers war verblüffend. Harry wusste aus der Nahkampfausbildung, dass es ebenso darum ging, zu lernen, wie man Schläge einsteckte, als auch darum, selbst welche auszuteilen. Dass es eine Kunst ist, die Muskulatur im richtigen Moment zu entspannen und einzusehen, dass man der Strafe nicht entgehen, sie aber durchaus minimieren konnte. Deshalb folgte Harry der Bewegung, als der Mann plötzlich geschmeidig wie eine Tänzerin mit erhobenem Knie herumschwang. Es gelang ihm aber nur, den Körper in die Richtung zu drehen, in die der Tritt zielte, so dass ihn der Fuß etwas oberhalb der Hüfte traf. Harry verlor das Gleichgewicht, stürzte und schob sich auf dem glatten Fliesenboden von dem Mann weg, bis er außerhalb seiner Reichweite war. Dort blieb er liegen, blickte seufzend an die Decke, nahm das Zigarettenpäckchen heraus und steckte sich eine Kippe in den Mund.
    »Speedcuffing«, sagte Harry. »Das habe ich in dem FBI -Kurs in Chicago gelernt. Cabrini Green, eine Scheißabsteige. Als Weißer konnte man da abends nichts unternehmen, wenn man nicht direkt vor der Haustür ausgeraubt werden wollte. Deshalb saß ich in meinem Zimmer und übte zwei Sachen. Meine Dienstwaffe im Dunkeln möglichst rasch zu leeren und wieder zu laden. Und Speedcuffing an einem Tischbein.«
    Harry stützte sich auf den Ellenbogen.
    Der Mann hielt seine kurzen Arme noch immer über den Kopf gestreckt. Die Handschellen, in denen seine Hände steckten, führten um die Wasserleitung herum. Er starrte Harry ausdruckslos an.
    »Mister Kluit sent you?« , fragte Harry.
    Der andere hielt Harrys Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken.
    »The Triade. I’ve paid my debts, haven’t you heard?« Harry musterte das ausdruckslose Gesicht des Mannes. Die Mimik – oder das Fehlen derselben – mochte asiatisch sein, aber weder die Form seines Kopfes noch die Farbe seiner Haut deuteten auf einen Chinesen hin. Aus der Mongolei vielleicht? »So what do you want from me?«
    Wieder keine Antwort. Was nicht gut war, schließlich konnte das bedeuten, dass der Mann nicht gekommen war, um irgendetwas einzufordern, sondern um etwas zu tun.
    Harry stand auf und ging in einem Halbkreis um ihn herum, so dass er sich ihm von der Seite nähern konnte. Er hielt ihm den Revolver an die Schläfe und schob seine linke Hand unter die Anzugjacke des Mannes. Seine Finger glitten über den kalten Stahl einer Handfeuerwaffe, ehe sie eine Brieftasche fanden und herauszogen.
    Harry trat drei Schritte zurück.
    »Let’s see … Mister Jussi Kolkka.« Harry hielt eine AmericanExpress-Kreditkarte ins Licht. » Finnish ? Finnisch? Dann verstehen Sie ja vielleicht sogar Norwegisch.«
    Wieder keine Antwort.
    »Sie waren mal Polizist, nicht wahr? In der Ankunftshalle in Gardermoen sind Sie mir aufgefallen, aber da habe ich Sie noch für einen Drogenfahnder gehalten. Woher wussten Sie, dass ich genau mit dem Flugzeug komme, Jussi? Ich darf Sie doch Jussi nennen, oder? Es kommt mir irgendwie stimmiger vor, jemanden, der mit offenem Hosenschlitz und heraushängendem Schwanz vor mir steht, beim Vornamen zu nennen.«
    Ein kurzes Räuspern war zu hören, dann wirbelte ein Speicheltropfen durch die Luft, drehte sich um die eigene Achse und landete auf Harrys Brust.
    Harry blickte auf sein T-Shirt. Der vom Snus schwarze Speichel hatte sich schräg über das »O« gelegt, so dass dort jetzt Snow Patrøl stand.
    »Sie können ja doch Norwegisch«, sagte Harry. »Also, für wen arbeiten Sie, Jussi? Und was wollen Sie?«
    Wieder rührte sich kein Muskel in Jussis Gesicht. Jemand rüttelte draußen auf dem Flur an der Klinke, fluchte und verschwand wieder.
    Harry seufzte. Dann hob er den Revolver, bis er sich

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