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Leopard

Leopard

Titel: Leopard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Tiere. Und Mutter wusste, dass nur einer von uns überleben würde, er oder ich. Eines Tages kam sie zu mir und sagte, er sei in Geilo gewesen und habe neue Munition für die Flinte gekauft. Ich solle sehen, dass ich fortkam, sie habe mit Großvater besprochen, was zu tun war. Der Witwer wohnte am Lyseren und wusste, dass er meinen Aufenthalt dort geheim halten musste, weil Vater mir sonst gefolgt wäre. Also ging ich. Mutter ließ es so aussehen, als wäre ich von einer Lawine verschüttet worden. Mein Vater mied die Menschen, und so war es immer Mutter, die sich um alles kümmerte, was den Kontakt mit anderen Menschen erforderte.
     
    Er glaubte, sie hätte mich vermisst gemeldet, dabei hatte sie in Wirklichkeit nur eine einzige Person darüber informiert, was geschehen war und warum. Sie und der Dorfpolizist, Roy Stille, tja … sie kannten sich recht gut. Stille war klug genug, um zu wissen, dass die Polizei wenig tun konnte, um mich vor Vater zu beschützen oder umgekehrt, also half er ihr, meine Spuren zu verwischen. Bei meinem Großvater ging es mir gut. Bis ich die Nachricht erhielt, dass meine Mutter in den Bergen verschwunden war.«
    Lene streckte ihre Hand aus. »Mein armer, armer Tony.«
    »Ich hab gesagt, du sollst die Augen zumachen!«
    Sie zuckte zusammen, als sie die Härte in seiner Stimme hörte, zog ihre Hand zurück und kniff die Augen zu.
    »Ich könne nicht zur Beerdigung, sagte mein Großvater. Niemand durfte wissen, dass ich am Leben war. Als er nach Hause kam, erzählte er mir Wort für Wort, was der Pastor in seiner Gedenkrede über sie gesagt hatte. Drei Zeilen. Drei verdammte Zeilen über die schönste und stärkste aller Frauen. Die letzte lautete: ›Karen ging leichten Schrittes durchs Leben.‹ Der Rest handelte von Jesus und der Vergebung der Sünden. Drei Zeilen und Vergebung für Sünden, die sie nie begangen hat.« Lene hörte Tonys schweren Atem.
    »Leichten Schrittes. Da behauptet dieses Arschloch von Pastor auf der Kanzel, sie habe keine Spuren hinterlassen. Sie sei so spurlos verduftet, wie sie gelebt habe. Um dann zur Bibel überzugehen. Großvater hat mir das ohne Umschweife erzählt, und weißt du was, Lene? Das war der wichtigste Tag in meinem Leben. Verstehst du?«
    »Äh … nein, Tony.«
    »Ich wusste, dass er dabei gewesen war, dass das Schwein, das sie umgebracht hatte, unbehelligt dasaß. In diesem Moment habe ich ihm Rache geschworen. Ich wollte es ihm zeigen. Es allen zeigen. Ich fasste den Entschluss – was auch immer geschehen sollte –, nie so zu enden wie er. Oder wie sie. In drei Zeilen. Und die Vergebung der Sünden brauchen weder ich noch dieses Schwein, wir brennen beide in der Hölle. Aber das ist mir lieber, als das Paradies mit einem solchen Gott zu teilen.« Er senkte seine Stimme: »Niemand, niemand sollte mir im Weg stehen. Verstehst du jetzt?«
    »Ja«, lächelte Lene. »Und du hast es verdient, Tony. Das alles, du hast so hart dafür gearbeitet.«
    »Schön, dass du so verständnisvoll bist, Liebste. Denn jetzt kommt der Rest, bist du bereit?«
    »Ja«, sagte Lene und schlug die Hände zusammen. Sie würde schon sehen, sie, die zu Hause hockte, neidisch, einsam und verbittert, und ihrer Tochter diese wahre Liebe nicht gönnte.
    »Ich hielt das alles in meiner Hand«, sagte Tony, und Lene spürte seine Hand auf ihrem Knie. »Dich, das Geld deines Vaters, das Projekt hier unten. Ich glaubte, nichts könne mehr schiefgehen. Bis ich diese dumme, geile Tussi oben in der Håvasshütte gevögelt habe. Ich erinnerte mich nicht mal mehr an ihren Namen, als ich einen Brief von ihr bekam, in dem sie mir schrieb, sie sei schwanger und bräuchte Geld. Sie hat sich mir in den Weg gestellt, Lene. Ich habe alles genau geplant. Das Auto mit Plastik ausgekleidet und eine unbeschriebene Postkarte aus dem Kongo mitgenommen, die ich noch zu Hause hatte. Ich habe sie gezwungen, einen Text auf die Karte zu schreiben, der ihr Verschwinden erklärte. Dann habe ich ihr das Messer in den Hals gestochen. Das Klatschen des Blutes auf dem Plastik, Lene … das ist etwas ganz Spezielles.«

KAPITEL 85
     
    Munch
     
    E s war, als hätte jemand einen Eiszapfen in Lenes Schädel getrieben. Trotzdem kniff sie weiter die Augen zu. »Du … du … hast sie getötet? Eine Frau … mit der du … oben in den Bergen … geschlafen hast?«
    »Meine Libido ist stärker als deine, Lene. Wenn du nicht tust, worum ich dich bitte, finde ich andere, die das tun.«
    »Aber du … du wolltest,

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