Leopardenblut (German Edition)
unaufhörliche Bewegung erregte sie auf sonderbare Weise. Ob er wohl auch andere Teile ihres Körpers mit so ausgesuchter Sorgfalt streicheln würde?
Allein dieser Gedanke konnte sie ins Zentrum bringen, aber das war ihr egal. In den letzten Stunden hatte sie mehr empfunden als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Es machte ihr Angst, aber sie wusste, dass sie morgen damit weitermachen würde. Sie würde es so lange tun, bis ihr jemand auf die Schliche kam. Und dann würde sie bis zum Tod kämpfen. Sie würde sich keiner Rehabilitation unterziehen, würde es nicht zulassen, dass man sie ihres Verstandes beraubte.
„Bitte sehr.“ Tamsyn stellte zwei Teller auf den Tisch. „Ist nichts Besonderes, aber es wird euch stärken.“
Sascha sah auf ihren Teller. „Gefülltes Fladenbrot.“ Sie kannte die Namen vieler Dinge. Wie die meisten Medialen hatte sie ihren Verstand durch Übungen gestählt. Gedächtnistraining hatte dazu gehört. Dabei hatte sie sich immer mit schlechtem Gewissen Listen ausgesucht, die ihre Sinne ansprachen. Auf einer hatten Nahrungsmittel gestanden. Ihre zweite Lieblingsliste hatte der Computer einem alten Buch über sexuelle Stellungen entnommen.
„Eine Spezialität von mir, Marke ‚Scharfe Lippen‘.“ Tamsyn zwinkerte. „Ein bisschen Chili hat noch niemandem geschadet.“
Lucas zog an Saschas Zopf, den er nun wohl loslassen musste.
„Was ist?“ Was würde er tun, wenn sie alle Vorsicht vergaß und ihn ebenfalls anfasste? Dieser Mann würde wahrscheinlich noch mehr verlangen.
„Es könnte brennen, wenn Sie es nicht gewohnt sind.“
Trotz war schon immer ihre Achillesferse gewesen. „Ich werde es schon überleben. Vielen Dank, Tamsyn.“
Sascha nahm das Fladenbrot in die Hand und biss hinein. Es blies ihr fast die Schädeldecke weg. Doch dank ihres Trainings war ihr nichts anzumerken. Lucas hatte das Spiel mit ihrem Zopf aufgegeben und schlang sein Essen schnell herunter.
„Also“, sagte Tamsyn, „könnten Sie meine Jungen tatsächlich in Ratten verwandeln?“
Sascha dachte erst, Tamsyn hätte das ernst gemeint, aber dann zwinkerte sie mit ihren karamellfarbenen Augen. „Ich könnte sie dazu bringen zu denken, sie wären Ratten.“
„Wirklich?“ Tamsyn beugte sich vor. „Ich dachte immer, Mediale fänden die Beschäftigung mit Gestaltwandlergehirnen zu anstrengend.“
Es war in der Tat außergewöhnlich schwer, sie zu manipulieren. „Ihre Denkstrukturen sind so ungewöhnlich, dass es wirklich schwierig ist, damit umzugehen. Schwierig, aber nicht unmöglich. Doch die für eine vollständige Kontrolle notwendige Energie ist so immens, dass es sich nicht lohnen würde.“ Zumindest hatte man ihr das gesagt, sie war noch nie in der Situation gewesen, ein Gestaltwandlergehirn zu manipulieren.
„Nur gut, dass wir so schwer zu kontrollieren sind, sonst würden die Medialen diesen Planeten beherrschen.“ Lucas klang faul und zufrieden. Er lehnte sich zurück und legte einen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls. Das Wort „besitzergreifend“ beschrieb sein Verhalten nur sehr unzureichend.
„Wir beherrschen die Welt.“
„Ihr seid vielleicht in der Politik und in der Wirtschaft ganz oben, aber die Welt besteht aus mehr.“
Sie nahm einen weiteren Bissen, denn sie hatte festgestellt, dass sie es mochte, wenn ihr die Schädeldecke wegflog. „Das stimmt“, sagte sie, nachdem sie sorgfältig gekaut und heruntergeschluckt hatte.
In diesem Augenblick bemerkte sie, dass kleine Leopardenzähne an ihrem Stiefel herumkauten.
Sascha wusste, dass sie das Junge von ihrem Stiefel wegziehen sollte, aber sie wollte nicht. In diesen Empfindungen zu versinken war sehr viel schöner, als auf Taubheit konditioniert zu werden. Ein leises Läuten unterbrach ihre Gedanken.
Erst nach einer Weile erkannte sie, dass sich ihr Organizer meldete. Sie griff in die Innentasche ihrer Jacke, überprüfte die Identifikationsnummer des Anrufers und trat mit ihm in eine einfache telepathische Verbindung.
„Wollen Sie nicht rangehen?“, fragte Tamsyn, als Sascha das schmale Gerät wieder zurück in die Tasche gleiten ließ.
„Ich bin schon dabei.“ Für ein solches Gespräch brauchte sie nur etwa zehn Prozent ihrer Konzentration. Richtige Kardinalmediale brauchten nur ein Tausendstel.
„Das versteh ich nicht.“ Tamsyn runzelte die Stirn. „Wenn Sie sowieso telepathisch kommunizieren, wozu dient dann der Anruf?“
„Einhaltung von Grenzen.“ Sascha hatte inzwischen aufgegessen. „Es ist
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