Leopardenblut (German Edition)
so etwas wie Anklopfen, bevor man ein Haus betritt. Nur bestimmte Leute dürfen einen sofortigen Kontakt mit mir herstellen.“ Ihre Mutter zum Beispiel, oder jemand aus dem Rat.
Lucas schob seine Hand von der Stuhllehne auf ihre Schulter. „Ich dachte, im Medialnet wären alle jederzeit miteinander verbunden.“
Das Medialnet war zwar nicht geheim, aber man durfte auch nicht alle Einzelheiten ausplaudern. Dieser Teil ihrer Konditionierung war noch vorhanden, auch wenn sie einen anderen abgelegt hatte. Sie öffnete den Mund und sagte: „Vielleicht sollten wir uns jetzt auf den Weg machen.“
„Selbstverständlich.“ Sie spürte, wie sein ganzer Körper steif wurde, als hätte er sich in das tödliche Raubtier verwandelt, das in ihm lauerte. Lucas Hunter war es nicht gewohnt, dass man ihm keine Antwort gab.
Sie hätte diese Seite von ihm fürchten sollen, fand sie aber eher faszinierend. „Vielen Dank für das Mittagessen“, sagte sie zu Tamsyn und wand ihren Fuß hin und her, damit das Junge losließ. Sie wollte ihm weder wehtun noch schuld daran sein, dass es Ärger bekam. Doch es klammerte sich fest.
Lucas schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Sag Nate, dass ich da war.“
Tamsyn stand ebenfalls auf. Da Sascha nicht weiter sitzen bleiben konnte, beschloss sie, ein Risiko einzugehen. Sie schickte dem kleinen Leoparden eine kurze telepathische Nachricht: Lass los, Kleiner, oder du bekommst Schwierigkeiten .
Sie hatte erwartet, dass es schwer werden würde, einen Kontakt herzustellen, aber die Verbindung war sofort da, genau wie bei einem Medialenkind. Diese Entdeckung hätte sie sofort ins Medialnet einspeisen müssen, tat es aber nicht. Es wäre ihr wie ein Verrat vorgekommen.
Der kleine Julia n antwortete nicht, aber er ließ sie los. Er war froh, dass sie es nicht laut gesagt hatte, denn er sollte nicht mehr auf Schuhen herumkauen. Er war doch schon ein großer Junge. Sie unterdrückte ein Lächeln und stand auf. Es war nicht so leicht, den Stiefel vor Tamsyn zu verbergen, während sie zur Tür gingen, aber sie versuchte, sich hinter Lucas’ kräftiger Gestalt zu halten.
„Sie können jederzeit vorbeikommen“, sagte Tamsyn, legte Sascha die Hand auf den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Tamsyn strahlte eine so überwältigende Freundlichkeit aus, dass Sascha nichts anderes tun konnte, als die Berührung starr über sich ergehen zu lassen. Sie hatte immer geglaubt, sie könne die Gefühle der anderen erkennen, aber noch nie hatte sie sich so sehr getäusch t – die Medialenwelt bot den Fantasien ihres sich auflösenden Verstandes einfach kein Material mehr.
„Vielen Dank.“ Sie trat sofort zurück, als Tamsyn sie losließ, und ging hinaus zum Wagen. Sie konnte es einfach nicht länger in diesem Raum aushalten, inmitten von Lachen und Berührung, Wärme und Versuchung, ohne noch mehr davo n … ohne alles haben zu wollen.
„Ojemine“, sagte Tamsyn und sah Sascha nach. „Ich hätte sie nicht anfassen sollen.“
Lucas zog sie an sich. „Warum nicht? Wir müssen uns doch nicht wie Mediale verhalten, nur weil sie eine ist.“
Tamsyn lachte. „Hast du ihren Stiefel gesehen?“
„Ja.“ Lucas war nicht umsonst das Alphatier der DarkRiver-Leoparden. Er wusste natürlich, warum Julian das getan hatte. Er verstand nur nicht, warum Sascha es zugelassen hatte. Und einen Augenblick lang hatte er sogar das helle Aufleuchten medialer Energie gespürt. Vielleicht war ihre telepathische Verbindung plötzlich stärker geworden, vielleicht hatte sie aber auch etwas anderes getan: zum Beispiel mit einem Leopardenjungen gesprochen.
„Ich hätte nie erwartet, dass eine Mediale so gut mit Kindern umgehen kann.“ Tamsyn legte den Kopf an seine Brust.
„Ich auch nicht.“ So etwas war einfach nicht möglich. Mediale würden nie einem Kind erlauben, an ihren Schuhen herumzukauen. Es gab keinen Grund dafür und es war auch nicht effektiv. Aber diese Mediale hatte es zugelassen. „Sag mir Bescheid, wenn die Jungen irgendetwas Interessantes berichten.“
Die Heilerin der Leoparden wusste sofort, worum es ging. „Immer noch nichts?“
„Bisher nicht.“ Er gab ihr zum Abschied einen Kuss auf die Stirn und ging hinaus.
Sascha saß schon im Wagen, als er sich auf den Fahrersitz fallen ließ. „Ihr erstes Mal mit Gestaltwandlerkindern?“
„Ja.“ Sie versteckte die angeknabberte Stiefelspitze hinter ihrem Bein und von diesem Moment an wusste Lucas, dass er in Schwierigkeiten steckte.
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