Leopardenblut (German Edition)
stieg sie in den Fahrstuhl und fand irgendwie den Weg zu ihrem Wagen, ohne jemanden umzurennen. Alles verschwamm vor ihren Augen und sie spürte, wie ihr Herzschlag immer wieder vor Angst aussetzte.
Beim Versuch, die Wagentür zu öffnen, wäre sie beinahe hingefallen. Es fühlte sich an, als würde ihr Körper die Systeme eines nach dem anderen herunterfahren. In ihrer Kehle sammelte sich der metallische Geschmack von Furcht. Dann überwältigte sie ganz plötzlich das eigenartige Bedürfnis loszulachen. Nur Sekunden nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen und den Knopf zur Verdunklung der Fenster gedrückt hatte, stieg Trauer in ihr auf.
Von Weinkrämpfen geschüttelt, wusste sie, dass sie kurz vor dem völligen Zusammenbruch stand. Die Tränen verschwanden jedoch so plötzlich, wie sie gekommen waren, und ihr Körper schmolz in einer heftigen Flut sinnlicher Freuden dahin. Dann traf sie mit einem Schlag tiefe Schuld, ein schrecklicher Verlust. Er saß in ihrer Kehle und sie glaubte zu ersticken. Sekunden später war alles wieder vorbei.
Sie spürte nichts.
In diesem kurzen Moment der Klarheit zwang Sascha sich zum Nachdenken. Als Erstes zog sie wieder die geistigen Schilde hoch. Sie würden sie bis zu ihrem Tode vor dem Medialnet schützen. Vor ihrem eigenen Volk. Sorge mischte sich mit Angst und diese Mischung schuf eine Verbindung zwischen den verstreuten Neuronen in ihrem Kopf.
Sie beugte sich vor und gab einen Zielort in den Computer ein, zu dem kein Medialer jemals gehen würde. Dann hinterließ sie ihrer Mutter eine Nachricht, die ihre Abwesenheit erklärte. Sie musste die Möglichkeit ausschließen, dass jemand nach ihr suchte. Wer wusste schon, in welcher Verfassung man sie finden würde?
Als sie den Wagen aus der Garage fuhr, hatte sich ihr Sichtfeld auf die Größe einer Nadelspitze zusammengezogen. Obwohl sie vor Angst fast taub war, gelang es ihr, den Wagen auf die Straße zu lenken, wo die automatische Steuerung übernehmen konnte. Sobald das geschehen war, schlang sie die Arme fest um ihren Körper und rollte sich auf dem Sitz zusammen.
Gelächter brach aus ihr hervor, obwohl sie nicht fröhlich war. Sie war auch nicht traurig. Sie war beides und noch mehr. Sie war wütend. Verrückt. Zufrieden. Hungrig. Verletzt. Glücklich. Heiter. Erregt. Ihr Körper fing an zu zittern, ihr Herz schlug wie ein Presslufthammer gegen den Brustkorb.
„Lucas“, flüsterte sie, ohne überhaupt zu bemerken, dass sie etwas sagte. Sein Bild tauchte in ihrem sich verdunkelnden Gesichtsfeld auf, wurde aber sofort durch den Aufruhr der Gefühle verdrängt, die mit Lichtgeschwindigkeit in ihrem Kopf herumrasten und ihr die Fähigkeit zum Denken raubten. Schmerzhafte Kurzschlüsse zuckten an ihren Nervenenden.
Ihr Körper bäumte sich auf, als sie im Innern des Wagens schrie. Ihre Schreie hallten immer noch wider, als sie schon längst das Bewusstsein verloren hatte und der Wagen sanft durch die Straßen glitt.
Spannung lag über der sicheren Unterkunft. Nur die Jungen schliefen. Die Mütter waren hellwach, die Soldaten aufgeputscht vom Adrenalin. Seit Sascha am Nachmittag gegangen war, hatte Lucas nichts mehr von ihr gehört und er machte sich Sorgen. Sein Tier strich unruhig durch seinen Kopf und drängte ihn, sie zu suchen. Irgendetwas musste bei ihrem zweiten Versuch, ins Medialnet zu gelangen, schiefgelaufen sein.
Er stand draußen vor der Hintertür und überlegte, wie er Sascha erreichen konnte, ohne jemanden misstrauisch zu machen, als ein großer weißer Wolf aus den Wäldern hinter dem abgelegenen Gelände heranschlich. Er merkte, wie sich Rinas Körper neben ihm versteifte. „Freund oder Feind?“, flüsterte sie.
Er sah in die blauen Augen des Wolfes. „Geh rein.“
„Lucas.“
„Rein mit dir!“ Es war der ausdrückliche Befehl des Rudelführers.
Rina verschwand und er konnte sowohl ihre Frustration als auch ihre Angst um ihn spüren. Nachdem sie in Sicherheit war, folgte er dem Wolf in den Wald. Er ließ ihn vorauslaufen, bis das Haus außer Sichtweite lag. Sekunden später kam ein Mann in ausgeblichenen Jeans auf ihn zu.
Hawke war muskulös und tödlich, durch und durch ein Raubtier. Als Wolf und als Mensch hatte er genau dieselben eisblauen Augen und das silbrige Gold seiner Haare hatte nichts mit dem Alter zu tun. Es spiegelte seine Fellfarbe wider. Lucas kannte keinen anderen Gestaltwandler, der in seiner menschlichen Form so sehr seinem Tier ähnelte.
„Was ist passiert?“ Nur
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