Leopardenblut (German Edition)
hat die Leichen nie gefunden.“
„Warum haben wir kein Exempel statuiert?“, fragte Henry.
„Die Medialen hatten sich dumm verhalten. Sie sind allein in ein nur für Wölfe zugängliches Gebiet eingedrungen.“ Marshall klang jetzt kalt und dunkel. „Wir unterstützen keine Dummheiten.“
„Es gibt keinen Zweifel, dass der Mörder ein Medialer ist?“, fragte Nikita.
Und wieder war es Marshall, der antwortete: „Der Netkopf hat Spuren eines pathologischen Verhaltens entdeckt, das dem Verstandesmuster eines Medialen folgt. Diese Anzeichen zeigten sich verstärkt, während er die Frauen gefangen hielt. Man konnte ihn aber bislang nicht aufspüren.“
„Nur ein sehr mächtiger Verstand kann sich so gekonnt verbergen“, überlegte Nikita. „Es muss ein Kardinalmedialer sein oder jemand, der auf einer ähnlichen Stufe steht. Er muss Zugang zu den höchsten Ebenen des Medialnets haben und dadurch in der Lage sein, den Netkopf von Zeit zu Zeit in eine falsche Richtung zu lenken. Sonst hätte dieser doch mehr als nur ein paar Spuren gefunden.“
„Wir können nicht das Risiko einer Entlarvung eingehen“, meldete sich Tatiana. „Er muss festgenommen werden, bevor er sich selbst verrät.“
„Völlig richtig. Das ist die einzige Möglichkeit, die Integrität des Medialnets zu erhalten“, stimmte Shoshanna zu. „Aber was tun wir, wenn seine Anwesenheit im Medialnet für das Funktionieren des Netzes notwendig ist? Das Verhältnis der kardinalen Anker zu den Übrigen muss unbedingt gewahrt bleiben. Schon zu viele von ihnen haben gezeigt, dass sie durch diesen Nebeneffekt angreifbar sind.“
„Wenn es notwendig ist, können wir ihn an die Leine nehmen und seine Bedürfnisse befriedigen. Wir stellen ihm die benötigten Frauen zur Verfügung, wählen Weibchen, die niemand vermisst, die nicht aus so aggressiven Rudeln wie den DarkRiver-Leoparden oder den SnowDancer-Wölfen stammen. Und wir sorgen dafür, dass man ihn nie entdeckt“, schlug Marshall vor. „Ab jetzt stellen wir alle ein Viertel unseres Bewusstseins für das Medialnet zur Verfügung und sobald ein Hinweis auf die passende Pathologie auftaucht, verfolgen wir die Spur zu ihm zurück.“
Passende Pathologie? Das Etwas, das einmal das Bewusstsein einer Kardinalmedialen namens Sascha gewesen war, wunderte sich über die eigenartige Wortwahl.
„Woher willst du wissen, dass er nicht untertaucht, bis wir die Suche aufgeben?“, fragte Nikita. „Wenn er so gut im Verbergen ist, wird er sicher merken, dass wir nach ihm Ausschau halten.“
„Bislang hat er dieses Mädchen noch nicht getötet. Ich glaube nicht, dass er sich zurückhalten kann. Unsere Forschungen über Serienmörder in der Medialenbevölkerung weisen auf ein zwanghaftes Verhalten hin.“
„Wie viele gibt es denn im Augenblick?“, wollte Nikita wissen. „Die letzten Berichte sprachen von fünfzig.“
„Das sind diejenigen, die wir kennen.“ Marshall schien in diesem Bereich am besten informiert zu sein. „Keiner von ihnen ist so besorgniserregend wie unser Unbekannter. Sie wählen nicht solch auffällige Opfer. Die meisten sind hinter anderen Medialen her, was unsere Aufgabe wesentlich erleichtert.“
„Was geschieht mit ihnen?“, fragte Henry.
„Sie werden aus anderen, vorgeschobenen Gründen zu Rehabilitationsmaßnahmen verurteilt. Die Unersetzbaren unter ihnen werden anderweitig versorgt. Allerdings ohne etwas im Medialnet verlautbaren zu lassen.“
„Aber es wird immer wieder welche geben.“
„Das gehört zum Wesen der Medialen.“
Damit wurde die Sitzung ohne weitere Diskussion beendet. Henry verließ zusammen mit Shoshanna die innerste Kammer. Sie sprachen erst miteinander, als sie wieder in ihren eigenen Gedankengewölben angelangt waren.
„Was meinst du dazu?“, fragte Henry.
„Es ist eine vernünftige Entscheidung. Wir können uns um die Angelegenheit kümmern, ohne dass jemand davon erfährt.“
„Die Gestaltwandler sind bereits misstrauisch.“
„Ohne Beweise nützt ihnen ihr Misstrauen nichts. Seit der ersten Generation des Silentium-Programms ist es niemandem mehr gelungen, einen Serienmörder bei den Medialen zu entdecken. Wir wissen, wie wir unsere Geheimnisse bewahren.“ Shoshannas Energie flammte auf. „Wo bist du gewesen?“
„In den Geschichtsarchiven.“
„Was gefunden?“
„Ja. Du hattest wieder einmal recht – die Anzeichen finden sich bei einigen aus dem erweiterten Familienkreis, aber nur der Jüngste könnte Anlass zur
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