Leopardenblut (German Edition)
Besorgnis geben.“
„Lass uns heute Abend darüber reden.“ Sie ging, ohne noch einmal einen Blick zurückzuwerfen.
Henry schaute in seinen Kalender und schlug dann noch einmal den Weg zu den Archiven ein.
Saschas Teil in ihm kehrte langsam an die Oberfläche zurück, die Erinnerung an ihre Beinahegefangenschaft in diesem Gewölbe rüttelte sie auf. Wertvolle Sekunden vergingen, bis sie ihr eigenes Bewusstsein wieder wahrnehmen konnte. Sie war gefährlich nahe daran, sich in Henry zu verlieren. Es war dringend notwendig, sich von ihm zu trennen, bevor er das Gewölbe erreichte, aber sie musste es so vorsichtig wie möglich tun.
Deshalb wartete sie noch ab. Kurz vor dem Gewölbe kamen sie an einem Wachposten vorbei, der ein schlampiges Sicherheitssystem hatte. Sie wechselte in seinen Schatten. Als der Mann nach seiner Runde die äußere Ebene des verbotenen Gebiets erreichte, wechselte sie zum nächsten Wachposten. Erst nach drei Stunden hatte sie auf diese Weise den Weg in ihren eigenen Verstand zurückgefunden, denn sie war sehr müde. Die lange Versunkenheit in ein anderes Bewusstsein hatte sie völlig erschöpft.
Schließlich konnte sie hinter ihre Schilde schlüpfen und die zusammengetragenen Informationen in ihrem Verstand ablegen. Dieser Moment fühlte sich an, als explodierte eine Splitterbombe in ihrem Kopf. Sie riss ihre Augen auf und fiel mit rasendem Puls nach hinten auf das Bett. In ihrem Kopf befanden sich zu viele neue Informationen. Sie starrte an die Decke, während der Verarbeitungsprozess begann, und fühlte sich dem Hungertod nahe.
Beim Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass die Zeit für das Abendessen lange vorbei war. Mit einem Stöhnen ging sie zur Kommunikationskonsole und rief ihre Nachrichten ab. Lucas hatte etwas hinterlassen. Mit den Malen, die sich so lebendig von der goldenen Haut abhoben, sah er ungeheuer raubtierhaft aus. „Miss Duncan. Wenn Sie heute Abend die Zeit finden, würde ich gerne mit Ihnen über die Änderungen an den Entwürfen sprechen. Ich werde am bekannten Ort sein.“ Damit endete die Nachricht.
Falls jemand sie überwachte, würde er keinen zweiten Gedanken darauf verschwenden. Geschäftsleute hinterließen andauernd solche Nachrichten. Nur sie sah die Sorge in den katzengrünen Augen, nur sie wusste, dass er angerufen hatte, weil sie sich nicht nach einer angemessenen Zeit gemeldet hatte, nur sie sehnte sich schmerzhaft nach ihm.
Ein Blick in den Spiegel bestätigte ihr, dass sie passabel aussah. Niemand konnte auf die Idee kommen, dass in ihrem Inneren ein Sturm tobte. Zuerst wollte sie zurückrufen, ließ es dann aber doch. Es war unnötig, jemandem ihren Aufenthaltsort zu verraten. Sie verspürte einen Stich im Herzen, weil Lucas sich Sorgen machte, aber sie wusste, dass er ihr genau dasselbe geraten hätte.
Sie tauschte die bequeme Kleidung gegen einen strengen schwarzen Hosenanzug und ein weißes Hemd. Das war die Uniform der Medialen und sie konnte sich keine Abweichung erlauben. So gepanzert trat sie aus der Tü r … und hätte beinahe Enrique umgerannt. Wenn sie nicht schon ihr Leben lang Dinge geheim gehalten hätte, wäre ihre schützende Schale durch den Schock vielleicht gesprungen.
„Ratsherr Enrique. Womit kann ich Ihnen dienen?“ Sie zog die Tür hinter sich zu, um ihm einen dezenten Wink zu geben.
Seine dunklen Augen taxierten ihre Kleidung. „Eine späte Sitzung?“
„Ja.“ Besprechungen nach neun waren nichts Ungewöhnliches.
„Ich möchte mit dir reden. Jetzt würde es gerade gut passen.“ Der Befehl war als Bitte getarnt.
„Mutter würde es bestimmt nicht gern sehen, wenn ich diese Verabredung verpasse.“ Ganz egal, wie nahe sich Nikita und Enrique im Rat waren, Saschas Mutter würde für niemanden Geld und Macht aufs Spiel setzen.
Die weißen Sterne in seinen Augen flackerten auf eine Art, die sie beunruhigend fand. „Ein Angebot auf Beförderung sollte man nicht zu schnell ausschlagen.“
Sie hatte angenommen, er hätte den Versuch, sie zu ködern, aufgegeben. Für wie dumm hielt er sie eigentlich? Doch sie lachte ihn nicht aus, sondern fragte: „Was bieten Sie mir an?“
„Gerade darüber möchte ich ja reden. Wir könnten das ganz privat in deiner Wohnung tun.“
Die Härchen auf ihren Armen stellten sich auf. Es war nicht ungewöhnlich, dass ältere Mediale sich nach Talenten in anderen Familien umsahen, aber irgendetwas stimmte ganz und gar nicht an Enriques Angebot. Er war zu sehr darauf erpicht, mit ihr
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