Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)
war, und François Bourgoin der des Gondren, und Jean François Senault der des Bourgoin, und Pater de Sainte Marthe der des Jean François Senault. Man kennt den Namen des Pater Coton, nicht weil er einer von den dreien war, welche die Einführung des Oratoriums durchsetzten, sondern weil der hugenottische König Heinrich IV. über ihn unflätige Dinge sagte. Die Weltleute finden unseren heiligen Franz von Sales liebenswert, weil er beim Spiel mogelte. Und man greift die Religion an. Warum? Weil es schlechte Priester gegeben hat, weil Sagittaire, Bischof von Gap, der Bruder des Salone, Bischof von Embrun war und weil beide die Nachfolger Mommols waren. Aber was liegt daran? Ist darum Martin von Tours weniger ein Heiliger, und hat er nicht die Hälfte seines Mantels einem Bettler geschenkt? Man verfolgt die Heiligen, man verschließt die Augen gegen die Wahrheit. Die wildesten Tiere sind die wildesten Bestien. Niemand fürchtet die höllischen Feuer. O über dieses schlechte Volk! ›Im Namen des Königs‹ bedeutet heute ebensoviel wie ›im Namen der Revolution‹. Man weiß nicht, was man den Toten und den Lebenden schuldet. Es ist verboten, als Heiliger zu sterben. Das Begräbnis ist eine Angelegenheit der Zivilbehörde. Es ist schauderhaft. Der heilige Leo II. hat eigens zwei Briefe geschrieben, einen an den Petrus Notarius, den andern an den König der Westgoten, um die Autorität des Exarchen und die Suprematie des Kaisers in allen Fragen der Totenbestattung anzufechten. Gautier, Bischof von Châlons, widersetzte sich in derselben Sache dem Herzog Othon von Burgund. Sogar die Beamten waren auf seiner Seite. Früher hatten wir vom Kapitel auch in weltlichen Dingen etwas zu sagen. Der Abt von Citeaux, ein Ordensgeneral, war erbliches Mitglied des burgundischen Parlaments. Wir tun mit unseren Toten, was wir wollen. Ist etwa der Leichnam des heiligen Benedictus nicht in Frankreich, in der Abtei von Fleury, die jetzt Saint-Benoit-sur-Loireheißt, obwohl er in Italien, in Monte Cassino, starb, und zwar am Sonnabend, dem einundzwanzigsten März 543? Alles das ist unanfechtbar. Ich verabscheue die Psalanten, ich verabscheue die Brüder vom freien Gebet, ich hasse die Ketzer, aber einen Menschen, der meinen Behauptungen widersprechen wollte, würde ich noch mehr verurteilen. Man braucht, um darüber volle Klarheit zu erlangen, nur die Werke folgender Schriftsteller zu lesen: Arnoult Wion, Gabriel Bucelin, Trithemius, Maurolicus und Dom Luc d’Achery.«
Jetzt schöpfte die Priorin Atem und wandte sich wieder Fauchelevent zu:
»Vater Fauvent, abgemacht?«
»Abgemacht.«
»Wir können auf Sie zählen?«
»Ich werde gehorchen.«
»Brav!«
»Ich bin dem Kloster ganz ergeben.«
»Wohlverstanden: Sie verschließen den Sarg. Die Schwestern tragen ihn in die Kapelle. Es folgt das Totenamt. Dann gehen alle ins Kloster zurück. Zwischen elf und Mitternacht kommen Sie mit Ihrer Eisenstange. Alles wird ganz im stillen besorgt. In der Kapelle sind nur die vier Mütter Sängerinnen, Mutter Ascension und Sie. Sie dürfen nicht vergessen, die Glocke abzunehmen.«
»Ehrwürdige Mutter?«
»Ja?«
»War der Totenbeschauer schon da?«
»Er kommt um vier Uhr. Das Zeichen wurde schon gegeben. Hören Sie es denn nicht?«
»Ich achte nur auf mein Zeichen.«
»Das ist brav von Ihnen, Vater Fauvent.«
»Ehrwürdige Mutter, ich brauche eine Stange von mindestens sechs Fuß Länge.«
»Wo wollen Sie die hernehmen?«
»Wo es Gitter gibt, fehlt es auch nicht an Eisenstangen. Ich habe eine Menge Eisenzeug hinten im Garten.«
»Also drei viertel Stunden vor Mitternacht. Vergessen Sie nicht!«
»Ehrwürdige Mutter?«
»Was gibt’s?«
»Wenn Sie vielleicht noch solche Aufträge hätten … mein Bruder ist sehr stark. Der reinste Türke.«
»Machen Sie es so rasch wie möglich.«
»Sehr schnell kann ich es nicht. Ich bin schon ein alter Mensch. Gerade darum brauche ich ja den Gehilfen. Auch bin ich lahm.«
»Lahm sein ist keine Schande, eher ein Segen. Der Kaiser Heinrich II., der den Gegenpapst Gregor bekämpfte und Benedict VIII. wieder einsetzte, hatte zwei Beinamen: Der Heilige und Der Lahme. Aber vergessen Sie nicht, Vater Fauvent, das Totenamt beginnt um Mitternacht. Alles muß eine gute Viertelstunde vorher fertig sein.«
»Ich werde mich bemühen, der Gemeinde meinen Eifer zu beweisen. Zwei Männer hätten die Sache besser geschafft. Die Regierung soll nichts davon ahnen. Ist alles so in Ordnung, ehrwürdige
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