Les Misérables / Die Elenden: Roman (German Edition)
Pogonatus Widerstand geleistet.«
»Doch der Polizeikommissär …«
»Chonodemarius, einer der sieben deutschen Könige, die unter der Regierung des Constantinus in Gallien einfielen, hat ausdrücklich das Recht der Klosterinsassen anerkannt, in ihren Klöstern begraben zu werden: also unter dem Hochaltar.«
»Aber der Inspektor von der Präfektur …«
»Die Welt vermag nichts wider das Kreuz. Martinus, der elfte General der Karthäuser, gab seinem Orden diesen Wahlspruch: Stat crux dum volvitur orbis.«
»Amen«, sagte Fauchelevent. Er war nicht davon abzubringen, sich so aus der Affäre zu ziehen, wenn in seiner Nähe Latein gesprochen wurde.
Jeder Zuhörer genügt einem Sprecher, der lange schweigen mußte. Der Rhetor Gymnastoras blieb, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, vor dem erstbesten Baum stehen und gab sich die größte Mühe, ihm alle die Probleme und Syllogismen zu erklären, die er inzwischen hatte bei sich behalten müssen. Auch die Priorin unterstand dem Schweigegebot. Ihre Schleusen waren unter höchstem Druck, und so ergoß sie denn wie einen Strom folgende Rede über den alten Vater Fauchelevent.
»Zu meiner Rechten habe ich Benedictus, zu meiner Linken Bernardus. Wer ist dieser Bernardus? Der erste Abt von Clairvaux. Fontaines in Burgund ist der gesegnete Ort, an dem er zur Welt kam. Sein Vater hieß Tecelin, seine Mutter Alethe. Er begann mit Citeaux und vollendete sein Werk mit Clairvaux. Von dem Bischofvon Châlons-sur-Saône, Guillaume de Champeaux, wurde er zum Abt geweiht. Er hatte siebenhundert Novizen und gründete hundertsechzig Klöster. Er war es, der 1140 auf dem Konzile zu Sens Abeilard Pierre de Bruys und seinen Schüler Henry niederkämpfte, später auch noch eine andere Art von Abtrünnigen, die sich Apostoliker nannten. Er widerlegte den Arnoldo von Brescia, sprach den Bann aus wider den Mönch Raoul, den Judenschlächter, beherrschte 1148 das Konzil zu Reims, ließ den Gilbert de la Porée, Bischof von Poitiers, verurteilen, item den Eon de l’Etoile, schlichtete Streitigkeiten zwischen den Fürsten, war der Ratgeber König Ludwigs des Jungen und des Papstes Eugen III., ordnete die Angelegenheiten des Templerordens, predigte den Kreuzzug und tat nicht weniger als zweihundertfünfzig Wunder in seinem Leben; einmal brachte er es an einem Tage bis auf neununddreißig. Und wer ist Benedictus? Der Patriarch von Monte Cassino; er ist der zweite Begründer des Klosterwesens, der Basilius des Westens. Sein Orden hat vierzig Päpste, zweihundert Kardinäle, fünfzig Patriarchen, tausendsechshundert Erzbischöfe, viertausendsechshundert Bischöfe, vier Kaiser, zwölf Kaiserinnen, sechsundvierzig Könige, einundvierzig Königinnen, dreitausendsechshundert kanonisierte Heilige hervorgebracht und besteht über vierzehnhundert Jahre. Hie Sanct Bernardus, hie Sanitätskommission! Hie Sanct Benedictus, hie Inspektorat der Wegepolizei! Der Staat, die Polizei, die Leichenbestattungsanstalt, kennen sie diese Dinge überhaupt? Nicht wenige Leute wären recht erbittert, wenn sie sehen müßten, wie man uns behandelt. Man läßt uns nicht einmal das Recht, unseren Staub Jesus Christus zu geben. Ihre Sanitätskommission ist eine Erfindung der Revolution. Gott als Untergebener des Polizeikommissariats – das ist unser Jahrhundert. Schweigen Sie, Fauvent!«
Fauchelevent fühlte sich unter dieser Dusche nicht gerade wohl, aber die Priorin fuhr fort:
»Das Anrecht des Klosters auf eigene Gräber darf niemand bezweifeln, und nur Fanatiker und im Irrtum Befangene können es leugnen. Wir leben in einer Zeit furchtbarer Unsicherheit aller Begriffe. Man ist unwissend in allen Dingen, die zu wissen verlohnt, aber man weiß alles mögliche, was besser ungewußt bliebe. Man ist kraß und unfromm. Es gibt in dieser Zeit Menschen, die den Unterschied zwischen dem erhabenen Sanct Bernardus und dem sogenannten Bernhard von den armen Katholiken, einem wackerenPriester aus dem dreizehnten Jahrhundert, nicht wissen! Andere wieder sind solche Lästerer, daß sie das Schafott Ludwigs XVI. mit dem Kreuz Christi vergleichen. Ludwig XVI. war doch nur ein König. Hüten wir uns vor Gottes Unwillen! Schon weiß man nicht, was Gut und Böse ist. Man kennt den Namen eines Voltaire, weiß aber nicht, wer César de Bus war! Und doch war César de Bus ein Seliger und Voltaire ein Unseliger! Der letzte Erzbischof, der Kardinal von Périgord, wußte nicht einmal, daß Charles de Gondren der Nachfolger des Bérulle
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