Lesereise Abu Dhabi
von den Nachkommen der Beduinen vom Stamm der Bani Yas bewirtschaftet. Wer von Abu Dhabi aus hierher fährt, dem kommt die Oase wie eine Fata Morgana vor. Vierspurig schiebt sich die Schnellstraße durch die Sandberge. Trüffelfarben erheben sich die Dünen wie riesige Buletten. Links und rechts nichts als Sand. Bis mit einem Mal leuchtend grün die Oase vor einem auftaucht. Der Landschaftsmaler Cézanne hätte sie nicht schöner hierhin malen können.
Doch wir sind nicht wegen der Oase hier, sondern wegen der Wüste. Natürlich: Man kann sich auf eine einsame Insel zurückziehen, sich auf einer Almhütte einmieten oder gar eine besinnliche Woche im Kloster einlegen. Aber ein noch viel passenderer Ort, um sich eine Zeit lang ins Off zu begeben, ist ein so maßloses Nichts wie die Rub al-Khali. Man verliert in der Wüste schnell das Gefühl für Raum und Zeit. Kaum hat man Liwa verlassen, die letzten Lehmbauten hinter sich gelassen, saugt die Weite die Erinnerung auf wie eine Pipette. Die Zeit vergeht fast wie im Flug. Quasi schwerelos schweben wir über die Sandberge. Mal erklimmen wir eine Düne und beobachten ein paar Gazellen in der Ferne, dann rollen wir minutenlang einen Dünengrat entlang. Es ist die Unermesslichkeit der Wüste, die einen in einen anderen Bewusstseinszustand bringt, deren Anmut und Dramaturgie.
Das Leben kann so schön sein, wenn man es auf das Wesentliche beschränkt und alles, was einem schon längst auf den Zeiger gegangen ist, mal für einen Tag ausblendet: Smartphones, das Internet, E-Mails, ja selbst die Menschen um einen herum. Dann werden die trübsten Gedanken klar, der Geist rein, die Seele pendelt sich in einem angenehmen Schwebezustand ein. Man wird frei im Kopf und wünscht sich nichts mehr, als dass dieser Zustand ewig anhalte. Für den einen mag der Blick ins Nichts nach wenigen Minuten erschöpft sein, für den anderen wird er beinahe zu einem spirituellen Erlebnis. Die angenehme Erkenntnis daraus: Die Welt draußen dreht sich auch ohne einen weiter.
Die Sonne hängt bereits schräg über den Dünenbergen, als Sultan unter dem Wagen liegt. Irgendwo da unten hat sich eine Schraube gelöst. Doch wer so behände ist, für den ist die Reparatur ein Kinderspiel. Schnell ist die Metallplatte wieder angeschraubt. Nur Augenblicke später geht der Wahnsinn weiter: Sultan hat die höchste Düne weit und breit ausgemacht. »It’s a bitch«, sagt er. Sie ist ein Luder. Dann stehen wir auch schon vor dem mächtigen Dünenkamm. Gut zweihundert Meter mögen es da hoch sein. Trotz Aircondition rollen dem Siebenunddreißigjährigen dicke Schweißperlen über die Stirn. »Keine Sorge, der Sand ist weich, ist alles gut gepolstert.« Noch einmal nimmt der Wagen Anlauf. Der Toyota röchelt. Für einen Moment hängen unsere Mägen in der Luft. Schreie auf der Rückbank. Der Wagen reckt seine Nase erst gen Himmel, dann in Richtung Erde, um im nächsten Moment sanft die Düne hinabzugleiten. Doch statt geradeaus zu fahren, schlingert das Auto gegen die Laufrichtung der Räder zu Tal. Spätestens am Fuß der Düne ist klar: Das, was Sultan hier abliefert, ist echte Kunst. Fahrkunst.
Es wird Abend. Glutrot geht am Horizont die Sonne unter. Wir halten noch kurz bei einer Kamelfarm und lassen uns neugierig von den Tieren beschnuppern. Dann suchen wir in einem Dünental einen geeigneten Platz für das Nachtlager, denn weder in Abu Dhabi noch irgendwo anders in den Emiraten gibt es einen Wüstentrip ohne Beduinencamp. Am Fuß einer Düne machen wir halt. Mit seinem Rollkoffer kommt man sich an einem solchen Ort ein wenig seltsam vor. Doch das legt sich schnell, wenn man die nackten Füße das erste Mal in den Sand setzt. Binnen Minuten haben Sultan, Matar und Co. die Zelte aufgeschlagen. Dann blubbert es auch schon im Kochtopf. Wir sitzen auf einem Teppich wie Scheichs zwischen den Dünen. Der Sternenhimmel spannt sich jetzt wie eine Scheibe über uns. Die Gesichter flackern im Licht des Feuers. Kaum ist das Fleisch fertig, steht es auch schon auf dem Tisch. Datteln, Hühnchen, Lamm. Daneben türmen sich Berge von Reis. Grillen zirpen, aus der Ferne dringt das Blöken eines irre gewordenen Dromedars herüber. Stumm hocken wir nebeneinander, genießen, und blicken in den arabischen Nachthimmel.
Man hat in solchen Wüstennächten die Qual der Wahl, wenn man zu Bett gehen will: Entweder man schwitzt sich im Zelt durch oder man tut es wie die Einheimischen. Ich entscheide mich für Variante zwei, die
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