Lesereise Abu Dhabi
Beduinennummer. Und die geht so: Man nimmt sich einen Schlafsack und legt sich hinter die nächste Düne. Irgendwo dort, wo Platz ist. Und davon gibt es in der Wüste genug. Dann liegt man irgendwann in seinem Kingsize-Bett aus Sand. Der Wind, der eben noch am Schlafsack gezupft, gezerrt und gezogen hat, ist abgeflaut. Der Sand in der Luft kommt zu Boden, und am Firmament funkeln die Sterne. Wie eine silberne Schale hängt der Mond über den Dünenkämmen, so als gehörte er zum Inventar.
Warum haben wir Häuser mit vier Wänden?, fragt man sich in einem solchen Moment. Weil sie uns Geborgenheit geben, Schutz vor den Blicken anderer, die uns jeden Tag auf der Straße, in der Arbeit, zu Hause zu nahe kommen. In der Wüste braucht man diesen Schutz nicht, denn es gibt niemanden, der einen mit seinen Blicken behelligt. Der einzige Schutz ist die Ballonseide des Schlafsacks, der irgendwo unter dem Firmament liegt. Und was für eine Nacht das dann ist: Man sieht nichts, man hört nichts, man fühlt nichts. Das Einzige, was der Körper wahrnimmt, ist die ungeheure Strahlkraft der Sterne. Und das Rauschen des Blutes in den Ohren. Hier zu liegen ist eine vollendete Idylle, in der man die eigenen vier Wände nicht einen Moment lang vermisst. Aber ist es wirklich das Blut, das in den Ohren rauscht? Oder vielleicht doch der Anfang von Tinnitus? In dieser Nacht ist mir das egal. Für mich ist es einfach die Melodie der Wüste.
Als wir am nächsten Morgen wieder im Auto sitzen, ist der Himmel taubengrau. Flach wie ein Tischtuch liegen die Dünen da. Es nieselt. Und wenn die zwei Elemente Wasser und Sand aufeinandertreffen, dann macht das die Wüste zu einem riesigen Schlamassel. Der eben noch puderweiche Sand hat sich in einen schleimigen Brei verwandelt. Und der klebt überall: an den Reifen, an den Scheiben, an den Schuhen, ja selbst an der Kamera. Sultan hindert das nicht daran, noch ein paar Sandberge im Vorbeigehen mitzunehmen. Düne hoch, Bleifuß. Düne runter, Gas weg. Dann hoppeln wir zurück in Richtung Teerstraße. Noch beim Aufpumpen der Reifen ist uns schwindlig von dem Geschaukel. »Fast wie auf einem Schiff hier«, sagt mein Reisebegleiter Martin. Auch ich bin quasi sandkrank. Man verlässt die Wüste nach einem Tag als Beduine auf Zeit als demütiger Mensch. Die endlose Weite, das Dünendinner, die Sternennacht im Schlafsack: Als Mitteleuropäer hat man einen wüsten Extremismus durchgestanden. Vor allem die Stille ist es, die einem in Erinnerung bleibt. Das Rauschen in den Ohren hält beim Aufpumpen der Reifen mit dem Kompressor noch eine Weile an. Bis mit hundert Sachen der erste Laster an einem vorbeirauscht. Dann ist klar: Die Zivilisation hat uns wieder eingeholt.
Fabian von Poser
Heiß auf Eis
Weil es ihnen in Abu Dhabi oft zu heiß wird, haben sich die Emiratis ein kühles Hobby geschaffen: Eishockey
Ali Kaddas Al-Romaithi, schokoladenbraune Haut, mittelgroße Statur, pechschwarze Haare, sieht nicht aus wie ein Eishockeyspieler. Kaddas spricht auch kein Deutsch, kein Schwedisch, kein Finnisch und auch nicht Englisch mit amerikanischem oder kanadischem Akzent. Kaddas’ Muttersprache ist keine Sprache, die man auf den Eisflächen dieser Welt versteht. Er spricht Arabisch. Kaddas trägt auch nicht den Namen eines Eishockeyspielers. Doch er kennt sie alle, die Regeln des Spiels. Die Regeln aus dem Regelwerk und die, die nur ein erfahrener Spieler kennt. Der Sechsunddreißigjährige sitzt in der Umkleidekabine, einem zwölf Quadratmeter großen Verschlag voller Helme, Brustpanzer und Schulterpolster, in dem es nach menschlichen Ausdünstungen riecht. Eben hat er seine weiße Dishdasha und das rote Kopftuch gegen seine Eishockeyausrüstung getauscht. Jetzt ist Kaddas von Kopf bis Fuß gepolstert, sein Trikot ziert ein riesiger Skorpion. »Abu Dhabi Scorpions« steht darauf. Kaddas nimmt seinen Schläger, fuchtelt damit in der Luft herum und sagt: »Sie sind jung und unerfahren, wir haben heute gute Chancen. Gegen Ende werden sie einbrechen.« Er sagt es mit dem Selbstbewusstsein eines gestandenen Spielers. Eines Spielers, der die gegnerische Mannschaft kennt, ihre Stärken kennt, aber auch ihre Schwächen. Kaddas ist einer, der das Spiel liest, der es versteht.
Ali Kaddas ist so etwas wie eine Ikone in Abu Dhabi. Er ist nicht bekannt, aber er hat das Eishockey bekannt gemacht im größten der Arabischen Emirate. Sein Team, die Abu Dhabi Scorpions, spielen in der EHL , der Emirates Hockey League. Der
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