Lesereise Abu Dhabi
Falkendoktorin.
Müllers Geschichte begann mit einer Doktorarbeit an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Darin ging es um Verletzungen an den Fängen von Jagdfalken. Eigentlich wollte die frisch gebackene Doktorin in einer Kleintierpraxis anfangen, als die Scheichs sie fragten, ob sie sich vorstellen könne, das Falkenhospital aufzubauen. Das war im Jahr 2001. Seitdem leitet sie das Projekt. »Als ich hier ankam, gab es nichts als Sand und einige kleine Gebäude«, sagt die Vierundvierzigjährige. Heute steht vor den Toren Abu Dhabis nicht nur eines der modernsten Tierhospitale der Welt, Dr. Margit Müller hat in der Zwischenzeit auch fast fünfzigtausend Falken behandelt und ihr Name ist in den gesamten Emiraten und weit darüber hinaus bekannt. Mittlerweile gibt es im Abu Dhabi Falcon Hospital nicht nur die Klinik, sondern auch ein Konferenzzentrum und ein kleines Museum. Dort können Besucher alles über die Geschichte der Falknerei in den Emiraten erfahren. Seit einiger Zeit bieten Dr. Müller und ihre Mitarbeiter auch Führungen für Touristen an. Für zwei Stunden können sie sich durch das Hospital leiten lassen und sogar bei Operationen zusehen. Auf Wunsch gibt es das Mittagessen im Pauschalpaket gleich dazu.
Dr. Müller tritt aus dem hellen Gang hinaus unter die Veranda im Innenhof des Hospitals. Das Sonnenlicht fällt wie der Strahl einer Taschenlampe auf die Flügel eines Falken. »Ein schönes Tier«, sagt Müller. »Falaj, fünf Jahre alt, weiblich. Ein guter Jagdvogel.« Der Name bedeutet so viel wie »die mit dem schönen Gefieder«. Falaj ist heute hier, um einen Gesundheitscheck zu durchlaufen, denn das Falkenhospital bietet komplette Check-up-Pakete an. Vor allem Falkenkäufer nutzen das Angebot, bevor sie ein teures Tier erwerben, um sicherzustellen, dass ihr Kauf frei von Krankheiten ist. Für Emiratis übernimmt die Kosten von etwa hundert Euro der Staat. Kein Wunder, dass die Checks Hochkonjunktur haben, denn die besten Tiere haben ihren Preis. »Dieser Falke kostet vielleicht zehntausend Euro«, sagt Dr. Müller. Der Wert hänge vom Stammbaum ab. Und vom Züchter. Bei guter Reputation könnten auch schon mal dreißigtausend und mehr Euro über den Tisch gehen. »Weibchen sind dabei teurer als Männchen, denn sie sind die Jagdtiere«, sagt die Doktorin. »Einen besonders guten Preis erzielt man, wenn Jagdfalken als Geschwister verkauft werden.«
Die Falknerei hat in den Vereinigten Arabischen Emiraten Tradition. Kein Tier habe so engen Kontakt mit dem Menschen wie der Falke, und erst recht keines, das fliegt, heißt es schon im Koran. Bis heute ist der Falke ein Symbol für das Leben, das die Beduinen jahrhundertelang in der Wüste führten. Einst spielten Falken bei der Nahrungsbeschaffung eine große Rolle. Als Zugvögel fingen die Beduinen die Tiere auf ihrem Weg in den Süden ein und richteten sie zur Jagd ab. Nach einigen Monaten ließen sie sie wieder frei, um den Kreislauf der Natur nicht zu unterbrechen. Bis heute symbolisieren Falken die Freiheit, die die Nomaden noch vor wenigen Jahrzehnten hatten. Die Einheimischen bewundern nicht nur ihren Mut, sondern auch ihre Gewandtheit bei der Jagd. Mittlerweile dienen die Tiere zwar nicht mehr der Essensbeschaffung, aber als Statussymbole. Und die Falknerei zieht sich in den Emiraten durch die gesamte Gesellschaft. Selbst weniger wohlhabende Menschen besitzen Falken. Zwar ist die Jagd in Abu Dhabi mittlerweile verboten, die Haltung ist aber nach wie vor erlaubt. Vor allem Falken aus Mitteleuropa sind begehrt. »Deutsche Falken haben eine großartige Qualität«, sagt Sultan Al-Dhaheri, Falkenexperte und Besitzer eines der bekanntesten Falkengeschäfte des Emirats. Vor allem Wanderfalken seien begehrt. Heute gehe die Züchtung sogar so weit, dass Hybridfalken gezüchtet würden. »Wir nehmen die Spermien der einen Art und pflanzen sie in ein Weibchen der anderen Art ein. So kombinieren wir Kraft mit Schnelligkeit.«
Es ist später Vormittag. Im Wartesaal des Abu Dhabi Falcon Hospitals ist es mittlerweile voll geworden. Immer mehr Emiratis nehmen auf den Stühlen Platz. Fünfzehn, zwanzig Menschen mögen heute mit ihren Tieren hier sein. Im Wartezimmer sitzt auch Hazza. Ein kleines Vermögen hat er für den Falken bei einem Händler in Dubai gelassen. Doch heute morgen hat sich das Tier beim Training verletzt. Die Nervosität ist dem Halter anzusehen. Schweißperlen rinnen dem jungen Mann trotz der Klimaanlage über die Stirn.
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