Lesereise - Afrika
mit sich herum, um nach Wasser und Brot zu lallen. Ich möchte für ein solches Scheißleben nicht gerettet werden. Da vergehe ich lieber, da bin ich lieber nicht. Denn leben ist nichts. Denn wie leben ist alles.
Noch dreihundertfünfzig Kilometer sind es nach Am Dafok, dem Grenzort. So viele wollen mit auf die zwei Lorries, dass wir uns abwechseln, die einen stehen, die anderen sitzen, nach drei Stunden umgekehrt. Zwei Fahrzeuge, aus Sicherheitsgründen. Die Reise führt durch das Dreiländereck Tschad, Sudan und Zentralafrikanische Republik, eine Lieblingsgegend von Schmugglern. Mit Vieh, Drogen, Gold, Waffen und Gummiarabikum schachern sie. Einer der mitfahrenden Soldaten hält meine Gürteltasche für ein Holster, trocken sagt er: »I want to buy your pistol.« Es erstaunt ihn gehörig, dass ich nicht bewaffnet bin.
Wir passieren acht Polizeikontrollen, der schwere Sand, die Pannen, die Gebete im Schatten, der kurze Schlaf unterm Wüstenhimmel, alles geht seinen gewohnten Gang. Als wir am nächsten Spätnachmittag ankommen, wartet in dem Strohhüttenkaff schon die Security auf mich. Es gibt keinen Strom, aber einen Geheimdienst. Prioritäten der Dritten Welt. Jetzt brauche ich eine Permission, um das Land verlassen zu dürfen. Ich zähme mich. Die Sonne schmilzt meine Energien, und ein Blick ins Dorfgefängnis, wo zwischen Urinlachen und Fäkalien zwei Männer siechen, dämpft die Wut. Ich frage, ob ich in dem Stall daneben übernachten könne. Nein, denn der Stall sei das »hospital«. Ich schlafe davor.
Um fünf Uhr morgens stehe ich auf, wandere den kleinen See entlang. Die Stille, die gelb-weißen Blüten auf dem Wasser, die noch erträgliche Temperatur der Welt. Drüben liegt die Zentralafrikanische Republik, in drei Stunden werde ich dort sein. Ich mache Notizen, der gestrige Tag ist dran, so war er: »Vor meiner Abreise zur Grenze besuche ich Herrn S., der hier im Rahmen der Entwicklungshilfe arbeitet. Löcher bohren, Wasser finden, Brunnen bauen. Er erzählt mir von einer öffentlichen Auspeitschung im Gefängnishof von Nyala. Hände und Füße gefesselt lag der Delinquent auf einem Holzbock. Um den Schmerz zu verschärfen, legten sie auf den schon blutschimmernden Hintern einen nassen Lappen, mit Salz getränkt. Scharia in action.
S. berichtet den Vorfall, um seine Missachtung gegenüber den Schwarzen zu illustrieren. Bevor wir uns verabschieden, führt er mich noch zur Vorratskammer. Er verstaut das gerade mit Botschaftspost angekommene Fresspaket. Ich untertreibe und behaupte, dass hier fünf Zentner vom Feinsten aus europäischen Supermärkten lagern. S. weiß, dass ich zweitausendvierhundert Kilometer Sandwüste hinter mir habe und noch tausendvierhundert Kilometer Urwald vor mir liegen, bis ich wieder in die Nähe einer brauchbaren Mahlzeit komme. Er will sich nicht lumpen lassen und überredet sich zur Herausgabe von fünfhundert Gramm Vollkornbrot. Ich solle aufpassen, meint er noch, die Burschen hier seien hinterlistig. Einmal umdrehen und die Dose wäre weg.
Am Lastwagen- Suq wartet schon Azen, um mich zu verabschieden. Er hat – ich überschlage kurz – ein Fünftel seines Monatslohns investiert und eine Tüte mit Grapefruits, Fladenbrot, Hammelfleisch, Nüssen und Bonbons mitgebracht. Er zieht mich ums Eck. Zwei Gläser stehen da. Dass ich ohne »goodbye tea« nicht davonkommen würde, ich hätte es wissen müssen.
Starke Gefühle und die Begegnung mit zwei Gangstern, die mich beschenken und berauben
André Gide war unerbittlich. Manchmal träumte er davon, alle Bücher zu verbrennen. Aus Hunger nach Intensität. Damit er nicht steckenbleibe in den Buchstaben, sondern sich verausgabe in einem außergewöhnlichen, einmaligen Leben. So schreibt er: »Ich will, dass meine nackten Füße es spüren. Denn jede Erkenntnis, der nicht eine Empfindung – ›une sensation‹ – vorausgeht, bleibt ohne Nutzen für mich.« Der Eintrag stammt aus seiner Reise nach Ubangui-Shari (1925), der heutigen Zentralafrikanischen Republik. So viele Jahre später fahre ich ihm hinterher. Und ich vermute, dass Gide »dem starken Gefühl«, das er so hartnäckig suchte, hier begegnet ist. »Ich will dabei sein«, notierte er trotzig, »und koste es das Leben.«
Der Grenzübertritt verläuft den afrikanischen Spielregeln gemäß. Die Lehmhütte – das Zollhaus – steht offen. Unter einem Baum daneben schläft der Zöllner. Ihn behutsam wecken. Er überträgt meine Personalien und kassiert dafür einen
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