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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Blicken der anderen. Aber ich fühle keine beklemmende Scham. Ich merke, wie sich die Prioritäten verschieben. So ist mein Leben in diesem Moment, ich habe keine Wahl.
    In El Obeid komme ich nicht aus, ein »welcome tea« ist fällig. Wildfremde heißen einen Wildfremden willkommen, das ist immer ein Erlebnis für einen Weißen. Er kennt es so anders. Dann einen Lorry finden, ab jetzt käme kein Bus durch. Aufpacken. Unter den Passagieren sitzen diesmal sieben Soldaten, die Kalaschnikows zwischen den Beinen. Knapp siebenhundertfünfzig Kilometer liegen vor uns, kein Meter davon geteert, die Front zum Bürgerkrieg rückt näher. Und Gauner soll es geben, die Waffen und Drogen schmuggeln, die ausrauben und totschießen. Noch gestern stand es im New Horizon . Der Fahrer kniet nieder zum Gebet, dann los um siebzehn Uhr fünfundfünfzig, es dunkelt bereits.
    Wieder der Tiefsand, die Löcher, der aufjaulende Motor, der oft durchkommt, oft scheitert. Dann wieder schaufeln, die Sandbleche unterlegen, sie greifen, daneben herrennen, vor die Hinterreifen werfen. Im Lichtkegel ziehen die Hirten mit ihren Ziegen vorbei. Ein Vogel verirrt sich auf die Ladefläche. Und immer anheimelnd, wenn wir von Weitem flackernde Feuer sehen. Dann erwartet uns ein Rastplatz mit Strohmatten, Petroleumlampen und scheuen Sudanesinnen, die mit ihren schmalen, schönen Händen Tee bereiten. Mehr nie. Die Frau ist die Teefrau. Kein Seitenblick, kein Augenflirt, kein anderer Ton in der Stimme.
    Ein paar Stunden schlafen. Azen, der Lehrer, sieht mich unterm Moskitonetz frieren und sagt: »Wir können meine Decke teilen. So haben wir es beide warm.« Um fünf Uhr auf und weiter bis nach Khuwei, dort Frühstück unterm »palaver tree«, da, wo die Alten sitzen und Probleme bereden. Der Polizeichef kommandiert mich ab in seinen Unterstand. Rechts vom Eingang liegt die Gefängniszelle. Während Chef und Vize aufmerksam meine Permission dechiffrieren, ereignet sich etwas Kurioses. Die acht Gefangenen stehen auf und strecken mir die Hand durch die Gittertür entgegen. Dann setzen sie sich wieder, schauen hilfesuchend herüber. Ich lächle hilflos.
    Als wir vierundzwanzig Stunden später in en-Nahud ankommen, gerade zweihundert Kilometer von El Obeid entfernt, liegen bereits ein Getriebeschaden, eine undichte Ölwanne und ein Defekt in der Lichtmaschine hinter uns. Wir fahren weiter, da es im Dorf nichts mehr zu essen gibt. Wir sind zu spät, die heutige Tagesration ist verbraucht. (»Finished.«) Um halb zwei Uhr nachts bleiben wir endgültig stehen. Tote Batterie. Wir kriechen unter den Laster, suchen Schutz hinter den Reifen, warten. Ein kalter Wind jagt den Sand über die Wüste. Um vier kommt ein Lkw, der UNO -Weizen transportiert. Seine Batterie hilft, zwei Stunden später funken die Kontakte, wir starten.
    Im Arabischen heißt das Wort »Zukunft« ( mustakbal ), wörtlich übersetzt: »das Angenommene, das Akzeptierte«. Vielleicht reicht das als Erklärung für den Gleichmut der Sudanesen. Was auch geschieht, nie höre ich einen Fluch, ein rasendes Wort, einen Wutausbruch. Sie nehmen es hin, machen sich an die Arbeit. Und hinterher keine andere Reaktion: ein Kopfnicken, ein Lächeln. Kein Freudenschrei, kein Protzen, keine Sprüche. Ähnlich ihr Umgang mit der Zeit. Nie habe ich den Eindruck, dass sie Zeit »verlieren«. Ich kauere hinter dem Reifen und denke, was für ein Verlust. Sie denken das nicht. Ich weiß, dass sie es nicht denken, ich habe danach gefragt. Denn Zeit »vergeht« nicht, Zeit ist immer da.
    Harmlos fängt der Tag an. Irgendwann finden wir etwas zu essen, wir halten. Es gibt Fladenbrot, Schafsmilch und Tee, Bohnen und Zwiebeln. Azen übersetzt mir das Lied, das aus einem Kofferradio rauscht. Eine Frau beschreibt die Schönheit des Mannes, den sie liebt. Seine Halslinien, sein Profil, seinen schwerelosen Gang. Das Lied scheint weit weg, gegenwärtig ist es zu heiß für die Liebe. Selbst die Sudanesen leiden, wie lahme Hunde kriechen wir in jeden verfügbaren Schatten. Entdeckt jemand etwas zu trinken, bin ich der Erste, dem sie es anbieten. Irgendwie – womöglich rate ich daneben – scheinen sie berührt von der Tatsache, dass ein Fremder ihr kümmerliches, von allen Übeln kujoniertes Land besucht. Und irgendwie – das scheint gesichert – verfügen sie über ein Talent zum Teilen, das andere nur bestaunen können. Und nie haben werden.
    Spätnachts weiß ich von zwei weiteren Übeln. Das eine schädlich, das andere

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