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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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»laissez-passer«, der hiesige Deckname für Wegegeld. Einen Steinwurf weiter sitzt der Geldwechsler mit einer Doppelflinte vor seinem Koffer voller Scheine. Er weiß um seine Monopolstellung und rundet großzügig ab. Wir müssen nochmals vierundzwanzig Stunden warten, dann das einzig verfügbare Vehikel anschieben und aufspringen. Wir fahren nach Birao, der nächsten, fünfundsechzig Kilometer entfernten Stadt.
    Auf der Ladefläche lerne ich Mohamed und Bebekar kennen. Tunesier. Als »hommes d’affaires« stellen sie sich vor. Da ich gleich lachen muss, weihen sie mich ein. Ihre Affären betreffen das Verschieben von Elfenbein und Diamanten. Der kleine Dicke und der kleine Dünne haben es nicht weit gebracht. Zwei minder begabte Kriminelle, die vierter Klasse reisen und die Botengänge erledigen. Aber ich werde sie nie vergessen. Weil wir gemeinsam durchs Fegefeuer gehen. Weil sie begnadete Lügenbolde und Geschichtenerfinder sind. Weil sie mir zuletzt das Fell über die Ohren ziehen.
    Die Landschaft ändert sich. Aus der Sandpiste wird ein Dschungelweg. Ein Mann auf einem Esel, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, kommt uns entgegen. Alles an ihm sieht fünftausend Jahre alt aus, nur der Blechkanister stammt aus dem letzten Jahrhundert. Ansonsten wie gehabt: der kochende Motor, die ewig maroden Batterien, das Knallen geplatzter Reifen. Lediglich zwei Überraschungen: Es gibt keinen Wagenheber, für anfällige Reparaturen halten wir über einer Vertiefung. Und der jagdversessene Fahrer, der unerschrocken die Notbremse zieht und mit Patronengürtel und Schrotflinte ein paar Wildgänsen hinterherstürmt. Um insgesamt siebzehn Mal daneben zu schießen. Als abends die Scheinwerfer ausfallen, leuchten drei Mann mit Taschenlampen den Weg. Auch in dieser Gegend lauern Schurken. Spät nachts finden wir ein Dorf, wo alte Männer im Dunkeln neben ihren Lanzen sitzen. Sie heißen uns willkommen und teilen ihren warmen Kürbis mit uns. Ich trinke Wasser. Es gibt nur die Wahl, Stunden später vor Durst blöd zu werden oder – nach Tagen – mit einem Virus im Bauch die Schwäche zu büßen.
    Am nächsten Morgen erreichen wir Birao. Der Polizeichef freut sich über uns drei Ausländer. Da die Regierung seit vier Monaten keine Gehälter mehr bezahlt, gehören Ordnungshüter zur gefährlichsten Bevölkerungsgruppe. Unser Gepäck wird gefilzt, ich muss zahlen. Einfach so, ohne Erklärung. Mohamed und Bebekar erwischt es härter, ihnen klaut der Chef zwei Elfenbeinfiguren, sonnig frohlockend: »Was für ein hübsches Geschenk für meine Frau.« Der Vorgang entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ein Gauner prellt zwei andere Gauner.
    In diesem Ort werden wir geprüft. Hier liegt irgendwo ein Eingang mitten ins Fegefeuer. Auf dem Hauptplatz zerhackt der Fleischer über einem Baumstamm Reste. Um ihn herum kriechen die Krüppel und schnappen nach dem, was abfällt. Gäbe es auf dem Markt etwas zu kaufen, ich könnte es nicht. Keiner wechselt hier Dollar. Mit den letzten sudanesischen Pfund, die akzeptiert werden, finanziere ich ein paar Gläser karkadeh , roten Blütentee. Ich ziehe Bilanz: Ndele, die nächste Stadt, liegt dreihundertsiebzig Kilometer weiter im Süden. Nur eine Straße führt dorthin. Seit einer Woche ist sie – nach der Regenzeit – wieder offen. Ihr Zustand sei, so sagen sie hier, »infernal«. Einziges Transportmittel wäre ein »camion«, ein Laster, den es im Augenblick nicht gibt. Ich habe Durchfall, ich habe Hunger, die Durchquerung des Sudans hat mich sechs Kilo gekostet. Meine Armbanduhr löst sich, das vom Schweißwasser porös gewordene Leder reißt. Leise atmend, besorgt um jede unnötig verschwendete Kalorie, starre ich auf den Metzger und denke nach.
    Nichts sollte überraschen. Der aktuelle Zustand der Republik hat Tradition. Zentralafrika hinkt am Bettelstab, und jeder kennt seine Geschichte. Weil sie so einfach ist, so blutrot, ein ganz ordinäres Märchen aus der armen Welt. Kamen bis ins 19. Jahrhundert arabisch-moslemische Sklavenjäger, um zwanzigtausend kostenlose Arbeitstiere pro Jahr einzufangen, überfielen nach ihnen französisch-christliche Kolonisatoren das Gebiet, um nicht weniger effizient die Besitzer des Landes zu liquidieren. Nach so viel Vorbereitung auf die Demokratie kommt 1960 die Unabhängigkeit. Psychopathen gelangen an die Macht. Am berühmtesten wurde der ehemalige Missionsschüler Jean-Bédel Bokassa, der gern die Leichenteile seiner massakrierten Opfer im palasteigenen

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