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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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erledigen hat, als in muffigen Wartezimmern zu lungern. Mein Zorn wirkt. Umso mehr, als sich herausstellt, dass sich im gesamten »Passport Office« keine drei Bogen Papier befinden, um meine neue Permission zu expedieren. Ich schlage ein Geschäft vor: Ich besorge der Regierung von Darfur einen Stoß Blätter und bekomme dafür ruckzuck den nötigen Stempel. Das funktioniert, im suq finde ich einen Laden für Griffel und Schreibwaren. Dreißig Minuten später gehen der Mehlsack und ich – gegenseitig lächelnd um Nachsicht bittend – auseinander. Ich mit meinem ab sofort gültigen Pass und er mit drei Notizblöcken, die er sicher noch heute Abend auf dem Schwarzmarkt verschleudern wird. Das muss er, sein Hungerlohn reicht nur zum Hungern.
    Ich spüre die spitzen Knochen meiner Hüften, kehre zurück auf den Markt, will einen Tee schlürfen und ruhen. Ich ruhe nur Minuten und Saphina setzt sich an meinen Tisch. Kein »leichtes Mädchen« (da sei die scharia vor), eher nachdenklich und selbstbewusst. Sie sei bereit, mich auf meiner weiteren Reise zu begleiten, spätere Hochzeit nicht ausgeschlossen. Von der Schönen beschützt werden, das hat was. Scheint doch eine Fahrt durch Afrika von permanenten Kassandra-Rufen verdüstert: Zug und Gleise weggeschwemmt, Regensaison noch nicht vorbei, ein Staatsstreich droht, Gebiet wegen Stammesfehden unpassierbar, Straße nach Erdrutsch verschwunden, der einzige Geldwechsler in der Stadt gestorben. Und siehe das Abschiedsgeschenk des gerade noch lächelnden Giftbrockens: »Central Africa is bad, real shit, no food.« Aber deswegen gleich heiraten? Ich tröste Saphina, verspreche, dass bald ein dankbarerer Mann vorbeikommen wird.
    Abends ins Freilichtkino. Groß wie ein kleines Stadion. Voll bis auf die Mauersitze. Zweitausend Männer und keine Frau. »Red Sonja« läuft, flott gemachter Abschreibungsmist aus Hollywood. Starring Arnold Schwarzenegger mit gestandenem Alpenländerenglisch und Brigitte Nielsen mit frisch silikongepufferter Vorderfront. Reitet Arnold aus dem Off in die Bildmitte, braust Beifall auf. Nähern sich seine Lippen denen der roten Sonja, wird schallend gelacht. Hier im Sudan fassen sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit nicht einmal an den Händen. Wie komisch muss dann die Großaufnahme einer solchen Zärtlichkeit wirken.
    Das Kino tut den Männern gut. Der Anblick intensiv gepflegter Menschen, teuer ernährt und erlesen bekleidet, heilt (kurzfristig) die Zumutungen der tagsüber stattfindenden Realität. Bevor sie Brigittes pneumatische Silhouette anschauen dürfen, heißt es zahlen mit dem Ertragen des ganz gemeinen Lebens.
    Ich will eine Straßenszene beschreiben, die Klarheit schafft: Mitten auf dem Markt, mitten im Dreck sitzt eine Frau. Zahnlos, halb nackt, verschorft. Ihr Alter, wie ich nachher erfahre: fünfunddreißig. Ihre Haut knapp unter siebzig. An den plattgesaugten, bis zum Bauchnabel schlaffen Brüsten, hängt ein Säugling. Beide stöhnen um Geld. Das miserable Paar ist keine Ausnahmeerscheinung. Nyala hat ein ganzes Kontingent davon. Was die beiden so außergewöhnlich macht, ist der Zufall.
    Als ich vorbeikomme, steht einige Meter von ihnen entfernt ein Range Rover der englischen Hilfsorganisation »Save the children«. Sofort – ob mir die Frage gefällt oder nicht – will ich wissen: Retten wofür? Für ein Überleben in lebenslänglicher Scheiße? Der Zufall hält an. Ich quetsche mich in einen überfüllten Minibus, und ein Alter zwängt von außen seine rechte Hand durch das Gitter des Fensters, »I need the money from God, I need the money from God« sabbernd. Und wieder sofort stelle ich die Verbindung her zwischen dem elenden Säugling und dem elenden Alten. So wird der acht Monate junge Sudanese enden. Dazwischen liegen fünfzig Jahre Kot atmen, um Almosen greinen, im Abfall stöbern, das Hungern verleugnen. Wie hypnotisiert blicke ich auf die drei und den Range Rover. Ich weiß, dass der Kleine dasselbe Recht auf ein anständiges Leben hat wie ich. Aber ich weiß genauso unwiderruflich, dass er dieses anständige Leben nie haben wird.
    Ich verfüge nicht über die Fantasie, um mir noch ein menschenwürdiges Leben ohne ein paar trockene Quadratmeter Wohnung vorstellen zu können, ohne die Möglichkeit zu lernen und zu begreifen, ohne die Zeit für ein paar leichtsinnige Nebenbeschäftigungen. Unter der Schädeldecke des Kleinen liegt ein Batzen Hirn, das faszinierendste Instrument der Weltgeschichte. Und er trägt es

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