Lesereise Finnland
Kugelschreiber mit schwungvollem »Santa Claus«-Schriftzug signiert. Die meisten sind von Kindern – so wie der von Mareike, neun Jahre alt, aus Leipzig: »Heiligabend kommt bei uns der Weihnachtsmann an die Tür. Aber der ist immer falsch und nur verkleidet. Bitte komm’ dieses Jahr selbst. Danke. Deine Mareike.« Rechtzeitig zum Fest werden die Antworten mit Sondermarke und -stempel auf den Weg gebracht.
Weil immer mehr Menschen den alten Herrn mit Rauschebart persönlich erleben und sich so selbst einen Traum erfüllen wollten, blieb es nicht beim bloßen Briefe Beantworten. Santa Claus selbst hält seit bald zwei Jahrzehnten feste Sprechzeiten ein und lässt sich bereitwillig mit seinen Besuchern, umgeben von einem Berg aus bunt verpackten, übereinander gestapelten leeren Kartons, unterm Tannenbaum fotografieren. Wer keine eigene Kamera hat, kann das Erinnerungsfoto von einem der Weihnachtsmanngehilfen schießen lassen – für rund acht Euro. Wer es sich auf ein T -Shirt reproduzieren lassen will, zahlt zwanzig Euro Aufpreis und muss ein paar Minuten warten.
Schüchterne Kinder tasten sich langsam nach vorn, bis er ihnen Mut macht, sich auf seinen Schoß zu setzen. Freche Teens übergeben resolut ihre Wunschzettel – oft mit ausgeschnittenen und aufgeklebten Bildern aus Versandhauskatalogen. Am häufigsten dabei: Computerspiele, Puppen, Autorennbahnen. Ponys sind nur deshalb seltener, weil sie nicht in Versandhauskatalogen zu finden sind. Auf den gezeichneten Weihnachtswunschzetteln von Mädchen sind sie es, die eine Spitzenposition einnehmen.
Eine Truppe kichernder alter Damen stürmt nach vorn und sammelt sich zum Gruppenbild. Brillen und Pelzmützen verrutschen vor Aufregung. Familien aus Estland sagen nicht ohne Ehrfurcht vor Santa Claus Gedichte auf, Finnen singen Lieder, Japaner knien kurz andächtig vor ihm nieder, springen anschließend wieder aufgeregt durcheinander. Eine etwa dreißigjährige Russin weint. Immer habe sie fest geglaubt, es gäbe den Weihnachtsmann. Jetzt endlich dürfe sie reisen und ihm persönlich begegnen. Und endlich könne sie ihren skeptischen Mann widerlegen, denn der hatte behauptet, das mit dem Weihnachtsmann sei alles Quatsch, sei Kinderkram und stimme sowieso nicht.
Dem Rauschebartriesen macht der Trubel sichtlich Spaß. Keine Spur von Ermüdungserscheinungen – auch nicht knapp vor Heiligabend. »Weihnachtsmann, wie viele Sprachen sprichst du?«, fragt ein Kind. »Am Heiligen Abend alle Sprachen der Welt«, antwortet er und zwinkert herüber.
Freunde dürfen »Santa« zu ihm sagen. Jarmo Kariniemi, persönlicher Referent des Weihnachtsmanns, der über den strammen Terminkalender wacht, redet ihn nur so an und darf ihm auch mal im Vorbeigehen kollegial auf die Schulter klopfen. Jarmo ist der einzige, der Santa ins Hinterzimmer des Blockhaus-Thronsaals begleiten darf, wenn der Chef Pause macht. Die Privatgemächer im Autobahnraststätten-Schick, mit orangenem Plastikstuhl, Blechspind voller Zivilklamotten, mit Handyladegerät und Aschenbecher auf dem Kiefernholz-Küchentisch sind für alle anderen tabu. Die Rückseite des Traumes gehört so wenig zur Inszenierung wie die Werkstatt des Bühnenbildners in einem Opernhaus.
Hinter den Kulissen darf Santa die schweren Stiefel ausziehen, die rote Kutte lässig über eine Stuhllehne werfen, sein verwaschenes Hard- Rock-Café- T -Shirt über dem Bauch zurechtzupfen. Den Bart abnehmen. Den Fernseher einschalten, eine Viertelstunde lang Eishockey schauen, ehe er in vollem Ornat zurück auf den Thron oder zu einem Empfang am Flughafen hetzen muss. Interviews gibt er nie, Fragen beantwortet er nicht gern. Wie lange er das schon mache, wollte vorhin einer der Besucher von ihm wissen und erntete einen skeptisch-verblüfften Blick über den Brillenrand: »Seit ewigen Zeiten. So lange es diesen Traum schon gibt.« Er antwortete mit so viel Autorität in der Stimme, dass weitere Fragen unausgesprochen blieben, Zweifel heruntergeschluckt wurden.
Wer mit leuchtenden Augen aus dem Blockhaus des Weihnachtsmanns exakt auf dem Polarkreis heraustritt, spaziert am Rentiergehege vorbei ins benachbarte Café, probiert heißen Adventstee und finnisches Weihnachtsgebäck. Oder stöbert nebenan in Souvenir- und Kunsthandwerkshops, wo es von kitschigen Plastikrentieren bis hin zu wertvollen Holzarbeiten, von Strickmützen bis zu Finndolchen alles gibt, was irgendwie zu Winter, Weihnachten und Lappland passt – CD s mit Weihnachtsliedern
Weitere Kostenlose Bücher