Lesereise Finnland
(»recorded live in Vienna«), sogar Kugelschreiber mit Weihnachtsmannlogo, dazu geräucherten Rentierschinken mit Weihnachtsmann-Qualitätssiegel auf der Vakuumverpackung, haltbar bis März 2013. Es gibt alles, was passt, passen könnte oder notfalls auch nicht passt, aber das Zeug zum Verkaufsschlager hat.
Wer reisen will wie Santa Claus selbst, geht für ein paar Stunden auf Lapplandsafari hinterm Haus, fährt mit Hunde-, Motor- oder Rentierschlitten durch die weißen Wälder, die das Dorf umgeben. Oder stapft in den nahen Freizeitpark Santa’s World in einer riesigen künstlichen Höhle, fährt dort Karussell. Lässt sich vor einer Uhr fotografieren, die das ganze Jahr über exakt anzeigt, wie viele Stunden es noch bis Heiligabend sind. Und kauft noch mehr Souvenirs. Das Geschäft ist offenbar interessant, denn an der weihnachtlichen Höhlenwelt waren als Gründungsgesellschafter unter anderem Finnair, die finnische Post und ein Versicherungskonzern beteiligt.
Die Kaufleute im Andenken-Einkaufszentrum von Joulupukin Pajakylä sind es, die das Gehalt des Weihnachtsmanns bezahlen. Der Mann mit dem roten Umhang ist ihr Angestellter. Sie flüstern es. Nur hinter vorgehaltener Hand, ungesehen im Schatten eines ausgestopften Deko-Elchs. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit, das nur für sie selber nicht zu gelten scheint. Der Typ sei ihr bester Mann. Ein Kundenmagnet. Absolut authentisch, schwer zu finden gewesen, die Idealbesetzung für den Job. Viel besser als der Vorgänger, der immer nach Alkohol roch und vorzeitig in Pension geschickt wurde. Zwanzig Einzelhändler und ein paar Gastwirte haben den echten Weihnachtsmann unter Vertrag genommen. Ein unechter wäre schlecht fürs Geschäft, verheerend für die Arbeitslosenquote in der Region.
Einer der Vormittagsbesucher aus Estland fragt Taxifahrer Jaakko später auf der kurzen Fahrt von Joulupukin Pajakylä zurück nach Rovaniemi, ob er den Mann hinter Santa Claus kenne. »Ja«, antwortet der bereitwillig. »Er lebt in Rovaniemi, ist verheiratet, hat drei Kinder und an seinem Klingelschild steht der Name Mauri Virtanen. Aber das ist nur ein Pseudonym, denn ›Weihnachtsmann‹ kann er schließlich nicht an die Tür schreiben.« Er lächelt. »Man stelle sich nur den Andrang vor. Schließlich ist Mauri ein alter Mann, inzwischen über sechshundert.« Jetzt ist seine Miene ernst und er nickt zur Bekräftigung zweimal kurz. Im selben Moment beginnt es zu schneien und Rentiere traben neben der Straße.
Zwei Kinder haben ihn an diesem Abend fast gleichzeitig durch die großen Glasfenster der Wartehalle des Flughafens gesehen, beide haben ähnlich reagiert: erst kurz erschrocken, dann gestrahlt, schließlich lautstark die Eltern herbeigerufen. Eben noch waren sie zu Besuch im Weihnachtsmannbüro von Joulupukin Pajakylä. Jetzt, kurz vorm Heimflug, rauscht der zeitlose Greis zum Abschied in vollem Ornat mit seinem Schlitten am Flughafen-Panoramafenster vorbei. Er winkt den Kindern zu. Irgendwo bimmeln Glöckchen. Aus der Beschallungsanlage des Terminals tropft zum dritten Mal binnen zwei Stunden »Jingle Bells«. Am eiskalten Nachthimmel zucken Nordlichter: wie die Funkenspur des am Firmament entlangrasenden Weihnachtsmannschlittens, Take-off von Rovaniemi-Airport aus – schneller als die wartenden Charterjets. Wahrscheinlich wegen des guten Drahts zum Tower.
Chansons im Schnee
Licht ins Dunkel bringen: Winter in Helsinki
Die Zahl der Schlaglöcher im Hauptstadtasphalt hat über die letzten zwei Winter zugenommen, die Zahl der dunklen Bitumenflicken in der Fahrbahndecke ebenfalls. Früher gab es so etwas im reichen Finnland nicht, im Hightech-Land zwischen Polarkreis und Baltikum, in der Wohlstandsnation mit Rekordgehältern, Rekordmieten, Rekordbruttosozialprodukt und rekordverdächtigen Lebenshaltungskosten. Das viele Geld reichte immer aus, um Straßen wie neu wirken zu lassen. Von der Kälte in den Asphalt gerissene Löcher verschwanden noch im selben Winter wieder, und eher wurde die ganze Decke neu gemacht als dass Flickenoptik geduldet worden wäre. Das kühle, sachliche Helsinki war Spiegel des Wohlstands, war Aushängeschild. Die Wirtschaftskrise zu Beginn der neunziger Jahre mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit war vergessen, eine neue nicht einkalkuliert. So plötzlich wie die Weltwirtschaft nun aus dem Tritt geriet, so plötzlich die Aktienmärkte litten und Investoren auch Hightech-Papiere nicht mal mehr mit spitzen Fingern anfassen wollten, so plötzlich
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