Lesereise - Israel
Leitung der gerade mal dreißig Jahre alten Küchenchefin Maya Lavi wickeln und schneiden drei Spezialisten aus Thailand das Sushi zurecht, das fast zu einem israelischen Nationalgericht geworden ist. Als 2009 das hundertste japanische Restaurant eröffnete, erreichte Tel Aviv nach New York und Tokio die drittgrößte Sushibar-Dichte der Welt.
Die jungen Köche verleihen dem Essen gern einen lokalen Twist: »Das Essen in Israel ist originell, aber nicht gewöhnungsbedürftig. Man fühlt sich an Muttis Küche erinnert, aber merkt doch, dass man in einer anderen Kultur ist«, sagt Claus Rycken, ein neununddreißig Jahre alter Apotheker aus Viersen, dessen Gürtel seit seinem ersten Israelbesuch aus dem letzten Loch pfeift. »Israelis mögen starken Geschmack, sie sind an einzigartige Gewürze gewöhnt, aber für Neuerungen offen«, so Lavi. Wegen des Klimas erhalten die Gerichte einen mediterranen Drall: »In meinen Rezepten tausche ich Sahne gegen Olivenöl aus«, sagt Aviv.
»Wir Köche haben die Gesellschaft nicht verändert. Israel hat sich einfach entwickelt«, erklärt der Starkoch den allerorts spürbaren Wandel zum Besseren. Reisen ins Ausland und die Erfahrungen in anderen Ländern weckten Appetit nach Neuem und schufen Qualitätsbewusstsein. Inzwischen wurde fast überall patzige Bedienung durch zuvorkommenden Service ersetzt, mancherorts müssen Kellner sich bereits mehrmonatigen Lehrgängen unterziehen. Brot wird vor Ort gebacken, aromatisches Olivenöl schmiert den Weg knuspriger Krusten an verwöhnten Gaumen vorbei schnurstracks in nimmersatte Mägen. Längst erringen israelische Weine internationale Auszeichnungen, israelischer Kaffee lässt sein deutsches Pendant blass erscheinen. Saftige Kräuter und Biogemüse nähren Ziegen, aus deren aromatischer Milch Käse entsteht, der auch in Frankreich geschätzt wird. Israels Begeisterung für die Globalisierung hat dafür gesorgt, dass alle Genussgüter der Welt im Land erhältlich wurden. »Einfallsreichtum, Chuzpe, Talent und harte Arbeit lassen israelische Köche jeden internationalen Vergleich bestehen«, sagt Rogov, der viele Restaurants im Land mit zwei Michelin-Sternen auszeichnen würde.
In wohl keinem Gebiet ist dieser Wandel deutlicher spürbar als bei den Nachtischen. Sie haben das Leben in Tel Aviv bitter werden lassen, oder genauer gesagt, zartbitter. Nachdem zuerst Kaffeehausketten und Weingüter das Land mit Qualitätsware überrollten, schwappte in den letzten Jahren eine braune Welle durch das Land. Schokolade in jeder nur denkbaren Form ist plötzlich in aller Munde. Liebhabern von Theobroma, dem »Göttertrank«, wie Europäer den aus Südamerika importierten Kakao anfangs nannten, fällt es heutzutage schwer, die wichtigste Verkehrsader Tel Avivs zügig zu durchschreiten: Nicht weniger als acht Chocolatiers locken auf den knapp zweitausendvierhundert Metern der Ibn-Gvirol-Straße ihre Kundschaft mit gaumenstreichelnden, sündhaft teuren Pralinen in herb-süß duftende Geschäfte. Schokoladentafeln, kunstvoll dekorierte Kuchen und knusprige Kekse kokettieren aus der Theke, nur um Kunden das Geld aus der Tasche und die Kalorien auf die Hüften zu zaubern. Der Trend ist nicht auf Tel Aviv beschränkt: Im symbolträchtigen, ideologischen Kern des Landes, nämlich im ersten Kuhstall von Deganiah Bet, einem der ersten Kibbuzim am See Genezareth, hat sich inzwischen anstelle egalitärer Milchkühe eine elitäre Pralinenfabrik eingenistet. Kurz, die Israelis geben sich von Eilat am Roten Meer bis nach Rosch Pina an der Grenze zum Libanon ungehemmt einem andauernden Zuckerrausch hin.
Den Weg Israels zum süßen Sündenpfuhl bereitete in den sozialistischen fünfziger Jahren der legendäre Hashahar Haole , die »aufgehende Sonne«, ein undefinierbarer brauner Schokoladenaufstrich für hartgesottene Süßmäuler. Der wurde im Winter knochenhart und zersetzte sich in der Hitze in seine Bestandteile. So begrüßte Konsumenten, die im Sommer wagemutig den Deckel von der billigen Plastikdose entfernten, der Anblick dumpf schwimmenden Fetts, das sich von den anderen Zutaten abgehoben hatte.
Den ersten Quantensprung in Sachen Gastronomie bereiteten in den neunziger Jahren unzählige Kaffeehäuser und Bäckereien, die den heißen Schokoladenfondant als israelischen Standardnachtisch etablierten. Entnervend schlanke junge Kellnerinnen reichen ihn auch heute noch auf großen Tellern, wo ein cremig samtiger Teig vor sich hin dampft. »Er besteht meist aus
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