Lesereise - Israel
Juden hat sich seit tausend Jahren nichts verändert, und nichts wird sich je verändern.« Deswegen wollen die Hassidim, sagt Ferster, »genau den gleichen Hut wie ihr Großvater.«
Seine Angestellten müssen genau wissen, wem sie welchen Hut anbieten können. Die Hassidim teilen sich in verschiedene Höfe auf, die nach osteuropäischen Städten benannt sind, in denen sich einst die Residenz des verehrten Rabbiners und damit Gründers ihrer Strömung befand. Heute gibt es Hunderte Strömungen, manche mit einzelnen, andere mit Zehntausenden Anhängern, die sich um einen Rabbiner scharen. Sie unterscheiden sich in Bräuchen, Gebeten und in ihrer Kleidung. »Niemals würde der Hassid einer Strömung eine Frau von einem anderen hassidischen Hof heiraten«, sagt Ferster, der selber den Belser Hassidim angehört. Kleinste Unterschiede in der Krempe, am Hutband, bei Höhe oder Material geben Auskunft über die Herkunft eines Hassiden. Die militanten Anhänger von Toldot Aharon tragen den flachen »Super«. »Wir Belser und die Wischnitzer hingegen tragen den gleichen Hut, unsere Hutbandschleife ist aber links, die der Wischnitzer rechts«, sagt Ferster.
Zwischen hundertsechzig und bis zu zweihundertfünfzig Euro kann so ein Hut kosten. »Das ist nicht viel, vor allem wenn man bedenkt, dass ein Hut fünfundzwanzig Händepaare durchläuft, bevor er auf den Kopf eines Kunden gelangt«, sagt Ferster. Das Rohmaterial für den Filz, gepresste Hasen- und Kaninchenhaare, kommt vor allem aus Spanien und Osteuropa. Hinter der Theke im Keller erstreckt sich Abraham Fersters Reich. Hier leitet er die Fabrik, in der maßgeschneiderte Hüte für die reichen Haredim hergestellt und alte Hüte repariert werden. Aus einer Maschine zischt in dichten Wolken heller Dampf. Sie presst Rohlinge auf einem von Hunderten Bleiuntersätzen in die gewünschte Form. Auf Regalen stapeln sich unzählige hölzerne, handgefertigte Formen, auf denen ein Angestellter mit einem schweren, selbst gebastelten Bügeleisen Hutkrempen bügelt. Im Hintergrund näht ein tauber Holocaust-Überlebender die eigens bestellten Hutbänder an und spielt mit seiner fünfzig Jahre alten Nähmaschine eine knatternd eintönige Hintergrundmusik. Ferster zwinkert und zeigt auf die antike deutsche Nähmaschine: »Die alte Pfaff ist übrigens zweckentfremdet. Sie wurde eigentlich entwickelt, um Büstenhalter zu nähen.«
Der Augenblick, in dem ein Haredi beginnt, einen Hut zu tragen, markiert einen Wendepunkt in seinem Leben. Manche Gruppierungen gestatten die prestigeträchtige Kopfbedeckung bereits im Alter von dreizehn Jahren, wenn die Jungen Bar-Mizwa feiern, also religiös gesehen volljährig werden. In anderen Strömungen berechtigt erst die Hochzeit einen Mann dazu, einen Hut zu tragen. Im Hut spiegelt sich nicht nur Zugehörigkeit, sondern auch gesellschaftlicher Status. Vielleicht beschreibt Fersters Hutkatalog deswegen fast jedes Exemplar als »sehr ehrwürdig«. Einzig der »Brandolino« sei »besonders prachtvoll und beeindruckend, wie es sich für einen Bräutigam ziemt«, heißt es im Prospekt. Kein Hut jedoch gilt als so prestigeträchtig wie der edle »Homburg«, das Flaggschiff der Hüte, der ausschließlich hohen Gelehrten und angesehenen Rabbinern vorbehalten ist. Vorsichtig holt Ferster das matt schimmernde Glanzstück aus dem Hutkarton hervor. Nur allgemein respektierte Rabbiner wagen es, so einen Hut zu tragen. »Wenn ein junger Bursche so etwas auf der Straße aufsetzte, würden ihn alle fragen, ob Karneval ist«, sagt Ferster.
Hinter der Theke bewahrt der Verkäufer Kloisner das teuerste Stück im Geschäft auf. Man darf es nicht anfassen, Kloisner will es nicht einmal aus der Schachtel nehmen, sondern lässt Interessenten nur aus der Ferne einen Blick auf den Inhalt werfen. Fast alle Haredim tragen schwarz, nur die Weisesten, die sich mit der jüdischen Mystik Kabbala lange genug befasst haben, kleiden sich ganz in Weiß. »Die schwarzen Hüte werden gefärbt, aber einen schneeweißen Hut kann man nur aus völlig weißen Hasenhaaren machen«, sagt Kloisner, der sich Handschuhe übergezogen hat und vorsichtig den Karton öffnet. Er wird Kunden erst überreicht, nachdem sie bezahlt haben, damit das teure Stück nicht beschädigt wird.
Nicht nur dreckige Finger stellen für die Hüte eine Gefahr dar. Selbst die härtesten Qualitätshüte leiden unter den schwierigen Witterungsbedingungen Israels. Die Mittagssonne bleicht sie aus, Regen verformt sie, auf
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