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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gil Yaron
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Bartschnitt und Schläfenlocken demonstriere, zu welcher Strömung man gehört. Statussymbol und Ausdruck einer Weltanschauung zugleich, liefert eine Kopfbedeckung den Haredim mehr Information als ein biometrischer Ausweis.
    Seit vier Generationen versorgen die Fersters Haredim mit Hüten. Abrahams Urgroßvater Abraham Josef Ferster begründete 1912 in Warschau die kopflastige Dynastie. Nach dem Ersten Weltkrieg musste er fliehen. Die polnischen Behörden waren auf ihrer Jagd nach einem deutschen Spion ähnlichen Namens auf den Hutmacher gestoßen und verdächtigten ihn, der gesuchte Agent zu sein. Seine Flucht führte ihn nach Wiesbaden, wo Ferster seine ersten geschäftlichen Erfolge verbuchte. Schon 1932 erkannte er die Gefahr, die von den Nazis ausging, und flüchtete mit Frau und sechs Kindern nach Jerusalem. Hier eröffnete er auf der Ben-Jehuda-Straße sein erstes Geschäft.
    Bevor moderne Shoppingcenter das Einkaufsverhalten der Israelis von Grund auf änderten, galt die Ben-Jehuda-Straße als schickste Geschäftsmeile im jüdischen Westjerusalem. Doch die jahrelange Terrorkampagne der zweiten Intifada , nicht enden wollende Straßenarbeiten für die Straßenbahn und die Konkurrenz vollklimatisierter Konsumtempel versetzten der edlen Fußgängerzone einen schweren Schlag, von dem sie sich heute nur langsam erholt. Zwischen einem Souvenirladen und einem Taschenverkäufer hält Israel Ferster, Vertreter der zweiten Generation, in der ersten Filiale des Familienunternehmens seit Jahrzehnten die Stellung.
    Die Schirmmützen und farbigen Hüte in den überfüllten Regalen verbreiten eine bittersüße Nostalgie. Einst, als Hüte noch zur Grundausstattung modischer Männer gehörten, kauften hier die wichtigsten Politiker Israels ihre Kopfbedeckung. Der erste Premier, David Ben Gurion, war ebenso Kunde wie Menachem Begin. Jetzt schaut nur noch gelegentlich Kundschaft vorbei, meist ältere Herren, die einen Sonnenschutz für ihre inzwischen haarlose Kopfhaut suchen. Sie probieren erst fünf verschiedene Schirmmützen aus und schachern dann mit dem langsam dahinschlurfenden und stets freundlich lächelnden Israel um die zehn Euro teuren Kappen.
    Das Hauptquartier der Fersters liegt inzwischen in Mea Schearim, wo die Haredim an ihrer jahrhundertealten Kleiderordnung festhalten. Ein unscheinbarer Gang führt von der Hauptstraße in die größte der sieben Filialen des Familienunternehmens. Im vom kalten Neonlicht durchfluteten Ausstellungsraum im Parterre stehen die schwarzen Fedoras säuberlich gestapelt auf gewienerten Regalen. Bei Fersters heißen diese weichen Filzhüte Kneitsch , eines der wenigen jiddischen Wörter, die im Geschäft benutzt werden. Die Zeit in Wiesbaden hat sich in der Fachsprache niedergeschlagen, die sich frei des Deutschen bedient: Den Kranz, auf dem die Hüte stehen, nennen die israelischen Verkäufer Untersatz , die Hutkrempe Rand und einen gebogenen Hutrand Roll . »Das sind die Hüte der Litauer«, sagt Israels Enkel Asbraham, der diese Filiale leitet. Die Litauer gelten als nüchterne und gebildete Haredim. Sie sind die historischen Gegner der Hassidim, Anhänger einer Bewegung aus dem Russland des 18. Jahrhunderts, die im Gegensatz zur fast akademischen Bildung der Litauer Wert auf Lebensfreude und eine mystische Verbindung zu ihren Rabbinern legen. Hassidim setzen auf Inbrunst, Litauer glauben hingegen, ein hartes Bibelstudium sei der beste Weg, um Gottes Gebote zu erfüllen. »Bei den Litauern gibt es durchaus ein Modebewusstsein«, sagt Ferster. Das weiß der gewiefte Geschäftsmann für sich zu nutzen: »Hier ändert sich die Mode. Mal ist die Krempe breiter, mal schmaler; mal der Hut höher, mal niedriger.« Da es unter Haredim keine Modemagazine gibt, sei sein Geschäft der »Trendsetter« der sich ständig erneuernden Litauer Modewelt, sagt der junge Direktor mit einem verschmitzten Lächeln.
    Wenn Ferster in den Keller seines Geschäfts hinabsteigt, leuchten seine Augen auf: »Hier unten ist die Welt der Hassidim, jeder Hut ist anders.« Suchen die Litauer im Parterre nach der modischsten Neuerung, gilt den Hassidim im Keller »modisch« als Schimpfwort. Drei Dinge, so behauptet eine Auslegung der Bibel, habe Gott einst dazu bewegt, sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten zu retten. Er habe die Juden befreit, weil sie ihre Namen, ihre Sprache und ihre Tracht bewahrt hätten. Jerucham Kloisner, der als Verkäufer im Geschäft arbeitet, ist sich deswegen absolut sicher: »Bei uns

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