Lesereise Kulinarium - Italien
verschiedene Sorten von pecorino und hörte dazu Erzählungen von den Mühen und Raffinessen der italienischen Schafskäseproduktion. Denn was man nicht weiß, das schmeckt man nicht.
Und wer weiß schon, dass für den pecorino von den sibyllinischen Bergen als Gerinnungsmittel ein Lab aus dem Magen des Lammes dient, das mit Majoran, Serpillo-Thymian, Brombeerschösslingen, Gewürznelken, Muskatnuss, Pfeffer, einem Tropfen Öl und Eigelb vermischt wird? Wem ist geläufig, dass die Schafshirten von Novara di Sicilia am Karneval die Formen, in denen der maiorchino reift, auf der Hauptstraße um die Wette rollen? Und wer hat je von der Kooperative der Nudelmacher von Gragnano bei Neapel gehört, deren altneapolitanische Kreationen höchst fantasievolle Namen tragen: Schnecke, Wolfsauge, Kerze, Ohrfeige oder zita , was ein junges Mädchen bezeichnet, das vor der Hochzeit steht? Dass die Hersteller solcher Raritäten ihre Abnehmer finden und gegen die Konkurrenz der Großkonzerne überleben können, ist eines der Ziele, die Slow Food sich gesetzt hat. Nicht nur Großveranstaltungen wie der Turiner Genießersalon dienen diesem Zweck, sondern auch die in fünf Sprachen erscheinende Verbandszeitschrift, ferner Wein- und Reiseführer, auch im Internet sind Ezzes zu erhalten unter www.slowfood.com . Die Organisation hat unter der Leitung des Journalisten Petrini eine rege Öffentlichkeitsarbeit entfaltet und sich mittlerweile in hundertfünfzig Länder ausgebreitet; über hunderttausend beträgt die Zahl der Mitglieder, die sich vor Ort in einem sogenannten Convivium organisieren, einer Tafelrunde nach altrömischer Art.
Dort trifft man sich zu fröhlichem Schmausen und Plauschen, aber auch zu praktischer Betätigung etwa im Rahmen des Projektes Arche, das die Erhaltung bedrohter Arten zum Ziel hat. In Deutschland etwa kümmert sich eine besondere Kommission um die Vermarktung eines seltenen norddeutschen Apfels namens Finkenwerder Herbstprinz und fördert die Wiederaufzucht des Roten Weinbergpfirsichs auf den Steilterrassen der unteren Mosel. In der Zwillbrocker Fenn an der deutsch-holländischen Grenze wurde der Bestand an Moorschnucken von fünfunddreißig auf sechshundert vermehrt. Slow Food stellte Verbindungen her zwischen Schäfern, Metzgern und Restaurants und machte die Sache auch den Feinschmeckern bekannt. »Wir wollen Mittler sein«, sagt Lothar Tubbesing, Mitglied im Vorstand von Slow Food Deutschland. Der Inhaber des Lübecker Restaurants Lachswehr hat in Turin ein literarisches Menü aus dem Norden serviert, nach Rezepten aus Thomas Manns Roman »Buddenbrooks«.
Auch der Stuttgarter Starkoch Vincent Klink wirkte mit bei dem Gourmetsalon, desgleichen berühmte Kollegen wie der Katalane Ferran Adrià, der Franzose Michel Trama oder der Italiener Gianfranco Vissani, der seinen Anhängern riet, nach dem Wahren, Echten, Guten in den Rezeptheften von Mama und Großmama zu forschen. Nicht zuletzt bezeugten die Besitzer legendärer französischer Weingüter wie Château d’Yquem und Château Margaux mit ihrer Gegenwart, dass Slow Food jenseits aller Ursprungsabsichten inzwischen als Verfechter gastronomischer Qualität allseits anerkannt ist.
Politischer Implikationen ist die Bewegung indes schon deshalb nicht entkleidet, weil falsches Essen gewaltige Folgen hat: nicht nur für die Esser selbst, die davon krank werden, sondern auch für Bauern, Metzger, Winzer oder Köche, also für den Arbeitsmarkt. Fast Food provoziert zudem Monokulturen auf allen Kontinenten, die damit verbundenen Transporte rund um den Globus schädigen die Atmosphäre und es geht sogar um das Klima, wenn in den Tropen Wälder gerodet werden, damit mehr Weiden für jene Rinder da sind, die zu immer noch mehr Big Macs verhacksteakt werden sollen. Überdies ist die kulturelle Identität bedroht, denn nicht zuletzt bezeichnen ja die Speisen die Eigenarten einer Region oder Nation. Carlo Petrini sagt, nicht einmal die Sprache oder die Geschichte seines Volkes habe mit jedem einzelnen Menschen so viel zu tun wie sein Essen, das ein integraler Teil seines Körpers wird.
Insofern stört es die Epikureer aus dem Piemont durchaus, dass gutes Essen vielfach zum elitären Privileg der Reichen geworden ist. Der Slow-Food-Restaurantführer indes listet nicht die italienischen Spitzenlokale auf, sondern die guten alten osterie , jene einfachen Traditionsgaststätten, in die das Volk geht. Und schon seit 1995 gibt es auch sogenannte Tafeln der
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