Lesereise Kulinarium - Italien
Brüderlichkeit, etwa in Brasilien und Bosnien, wo notleidende Kinder und Erwachsene mit Unterstützung von Slow Food regelmäßig zu essen bekommen.
Andererseits verkennen Petrini & Co. keineswegs, dass McDonald’s & Co. unter anderem deshalb so erfolgreich sind, weil ihr Essen so billig ist. »Wenn die Leute McDonald’s mögen, dann sollen sie ruhig hingehen«, sagt der Präsident. Nur nimmt er für sich und seinesgleichen das Recht in Anspruch, sich dem Big Mac zu verweigern, sich auch gegen die Experimente der Biogenetik zu verwahren und überdies die piemontesische Krummdistel, den Schinken von Sauris im Friaul, den Rogen der sardischen Meeräsche oder den emilianischen Biricoccolo, eine natürliche Kreuzung aus Zwetschgen- und Aprikosenbaum, unter Schutz zu stellen. Solche aussterbenden Kostbarkeiten gehören für ihn »zum kulturellen Erbe unseres Landes, genauso wie eine barocke Kirche oder ein mittelalterliches Schloss«.
»Jeder soll leben, wie er will«, sagt Petrini, der Mann aus Bra. In seinem Heimatort hat nicht nur die italienische Organisation Arcigola, sondern auch die Weltbewegung Slow Food ihren Sitz, mitten in der Zone des Wohlbefindens. Und im Stadtteil Polenzo steht ein Palast aus dem vorigen Jahrhundert, in dem die »Akademie des Geschmacks«, eine Art gastronomische Universität, tätig ist.
Slow Food kämpft gegen Fast Food mit Qualitätsförderung, eine aufgeregte Feldschlacht gegen den Big Mac liegt Petrini und Genossen fern. Sie wäre ja auch mit den Grundsätzen des wahren Genießers nicht recht vereinbar. Er tut Gutes und ist politisch aktiv, indem er gut und richtig isst.
Klaus Brill
Schlechte Zeiten für Artischocken
Die zaghafte neue Blüte von Italiens Gemüsemärkten
Armanda konnte nicht mehr weitermachen. »Ich bin doch fast vor Hunger gestorben«, sagt die kleine Person mit dem kurz geschnittenen weißen Haar. Als Marktfrau auf der Piazza San Cosimato, dem pulsierenden Herzen des römischen Stadtteils Trastevere, hat Armanda viele Jahre lang Obst und Gemüse verkauft: Orangen aus Sizilien, Erdbeeren aus Terracina oder die schönen runden Artischocken aus dem römischen Umland, die man mit Stiel und Blättern isst: in Öl gedünstet, mit Pfefferminze, Knoblauch und Zitronensaft gewürzt, sind die carciofi alla romana eine besondere römische Spezialität. Seit den fünfziger Jahren stand Armanda hinter ihrem Gemüsestand, reichte braune Papiertüten mit den feldfrischen Köstlichkeiten über die Theke, legte häufig ein Büschel Basilikum als Geschenk des Hauses dazu und hielt ganz nebenbei mit unzähligen römischen Hausfrauen ein Schwätzchen.
Doch mittlerweile kommen kaum noch Hausfrauen auf den Markt. Und »von den paar Äpfeln, die hier die Touristen kaufen, kann man nicht leben«, sagt Armanda. Deshalb hat die Marktfrau, die mittlerweile dreiundsiebzig ist, vor zwei Jahren ihren Verkaufsstand dichtgemacht und die Pension beantragt. Die kleine Marktbude, die in Wahrheit ein Holzkasten auf Rädern ist, steht noch immer auf ihrem alten Platz, freilich ist sie jetzt fest verschlossen. Armanda würdigt das Gestell nur mit einem verächtlichen Seitenblick: »Mit der Rente bekomme ich jetzt viel mehr Geld, als ich zum Schluss verdient habe«, erzählt sie. Und Gemüse verkaufen kann die alte Marktfrau immer noch: Sie hilft jetzt bei den Standnachbarn aus, bei Pietro und Concetta, einem Ehepaar mittleren Alters, mit dem Armanda seit vielen Jahren befreundet ist. Aber auch diese beiden klagen, dass es so nicht mehr weitergehen könne: »Je länger wir hier sind, umso schlechter ist das Geschäft«, sagt Pietro.
Auf der Piazza San Cosimato herrscht Flaute, und nicht nur dort. Auch auf anderen Märkten in der römischen Innenstadt klagen die Gemüseverkäufer über mangelnde Kundschaft; immer mehr Stände werden aufgegeben. Da ist die schöne Markthalle in der Cola di Rienzo, einer der großen römischen Einkaufsstraßen im gutbürgerlichen Viertel Prati: Einstmals drängelten sich die Kunden jeden Vormittag in dem reich verzierten Jugendstilbau, mittlerweile aber sind ganze Verkaufsreihen wie leer gefegt. Auf dem Campo de’ Fiori, dem alten römischen Blumenmarkt, herrscht zwar immer noch rege Geschäftigkeit. Aber zumeist schlendern Touristen durch die Gänge, die viel gucken und wenig kaufen. Zwischen den alten Gemüseständen machen sich unterdessen immer mehr fliegende Händler breit, die Töpfe verkaufen, billige Pullover oder buntes Plastikspielzeug.
Den tristesten
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