Lesereise Kulinarium - Italien
genau so hatte er das wohl auch gemeint.
Susanne Friedmann
Aufstand gegen den Big Mac
Aus dem Piemont kommt eine Weltbewegung, die sich dem guten Essen verschrieben hat
Manchen Menschen gibt das Schicksal ihre spätere Berufung schon in früher Jugend ein, und Carlo Petrini ist einer von ihnen. Er wurde geboren in dem Städtchen Bra bei Turin, in einer Gegend, die sich Langa nennt und die weit über die Region Piemont hinaus bekannt ist für ihre erstklassigen Rotweine der Marken Barolo und Barbaresco, für die Trüffeln aus Alba und für gute Nüsse. »Ich erinnere mich, dass mein Großvater den Finger in den Wein tauchte und ihn mir an die Lippen hielt, damit ich davon kosten konnte«, erzählt Petrini grinsend und er macht dabei keineswegs den Eindruck, als schiene ihm des Großvaters Verhalten im Nachhinein womöglich tadelnswert.
Der Hinweis soll ja nur erklären, wieso ein Knabe aus Bra, der später einen revolutionären Piratensender gründet, der Musikfestivals organisiert und ein linker Agitator wird, in reiferen Jahren zum Gourmet konvertiert. »Ich habe kapiert, dass man mehr Schaden anrichtet, indem man für andere leidet, als indem man für sich selbst genießt«, sagt der bärtige, beleibte Bonvivant. Und ist heute in der Lage, als Initiator und Präsident einer internationalen Bewegung für gutes und vernünftiges Essen gewaltige Menschenmassen zu einer einzigartigen Messe des kulinarischen Genusses nach Turin zu locken.
Die Bewegung firmiert unter dem blassen englischen Namen Slow Food, obwohl sie durch und durch italienischen Ursprungs ist und die besten Traditionen dieser gastronomischen Großmacht pflegt. Ursprünglich, 1983, nannte sich der Verband, den Carlo Petrini und eine Reihe von Freunden als Untergliederung der großen linken Freizeitorganisation Arci gründeten, ja auch Arcigola, und als solcher zählt er heute in Italien zweihundertfünfundneunzig Ortsgruppen und über fünfundzwanzigtausend Mitglieder. Politischer Progressismus und Feinschmeckertum lassen sich gerade in Italien eben zwanglos miteinander verbinden, der linke Hedonist Petrini tat es seit 1977 als Gastronomiekritiker der kommunistischen Tageszeitung Il Manifesto , des Wochenblatts L’Espresso und anderer Gazetten.
Es ist dann 1986 etwas passiert, was die Kulturnation Italien als historische Zäsur empfand: die US -Fast-Food-Kette McDonald’s eröffnete an der Piazza di Spagna in Rom ein Schnellrestaurant. Dagegen erhob sich öffentlicher Protest, auch Petrini und Konsorten waren dabei, und sie beschlossen, dem Fast Food mit Slow Food zu begegnen, dem hektischen Verzehr weltweit genormter Hackfleischbrötchen die Besinnung auf die Tradition entgegenzusetzen.
1989 kamen in der Komischen Oper zu Paris rund fünfhundert Gleichgesinnte aus etwa zwanzig Ländern zu einem großen Mahl zusammen und verabschiedeten ein Manifest, in dem das schnelle Essen als Ausdruck eines allzu hektischen Lebens aufgefasst wurde. Slow Food, das langsame, bewusste Essen, soll hingegen den guten Geschmack und die »wahre Kultur« wiederbeleben. Langsamkeit wird zum Merkmal der Lebensqualität, auch bei der Herstellung von Nahrungsmitteln. Und gegen den globalen Einheitsfraß setzt Slow Food die Rückbesinnung auf die Reichtümer jeder einzelnen Region. Die Schnecke wurde die Symbolgestalt der Bewegung, und natürlich trägt auch Carlo Petrini sie als Anstecker am Revers.
»Zurück zur Heimat« lautet die Parole gegen den Big Mac, und wie dies konkret gemeint ist, war Anfang November 1998 beim Salone del gusto in Turin zu erleben, einer gigantischen Messe, bei der aus fünfzigtausend Flaschen zweitausendfünfhundert verschiedene Sorten Wein verkostet wurden und häppchenweise zehn Tonnen Schinken, Wurst und Käse über die Theken gingen. Rund hundertzwanzigtausend Menschen kamen aus ganz Italien und aus anderen Ländern, unter ihnen viele Gastronomen, Bauern, Restaurateure und Lebensmittelhändler. Rund zweiunddreißigtausend von ihnen hatten sich schon Wochen zuvor zu insgesamt dreihundertelf verschiedenen »Werkstätten des Geschmacks« angemeldet und erlebten nun, wie Slow Food den angenehmen Seiten des Lebens auf den Grund geht.
Man saß dann beispielsweise an langen weißen Tischen vor acht im Halbkreis aufgestellten Gläsern und süffelte acht verschiedene Jahrgänge des piemontesischen Barolo, dieweil die Winzer die Beschaffenheit ihrer Böden und die Sonneneinstrahlung der betreffenden Jahre erläuterten. Oder man kostete sechs
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