Lesereise Kulinarium - Italien
Eindruck von allen aber macht der Markt von San Cosimato. Früher war beinahe der ganze Platz, der die Form eines Dreiecks hat und von hohen ockerfarbenen Mietshäusern aus der Jahrhundertwende gesäumt ist, mit den Sonnenschirmen der Marktstände übersät. Aus den zahlreichen Kaffeebars rundum dampfte der Espressoduft, die Kellner balancierten mit ihren Kaffeetabletts zwischen den Verkaufsbuden hindurch, um den Gemüseverkäufern ihren morgendlichen cappuccino zu servieren. Heute sind gerade noch zwei Marktreihen da, die restliche Fläche ist von bunten Blechkarossen belegt – der einstmals so belebte Markt ist zu einem Riesenparkplatz mutiert, während Leute mit großen Plastiktüten durch die umliegenden Straßen eilen. »Wir sind hier umzingelt von großen Supermärkten«, sagt Armanda »– da haben wir Kleinen keine Chance mehr.«
Frisches Gemüse gehört zur italienischen Küche wie der Zucker in den Kaffee. Deshalb sind die Gemüsemärkte traditionell ein wichtiger, zentral gelegener Anlaufpunkt in jeder italienischen Stadt. In Venedig breitet sich gleich hinter der Rialto-Brücke ein riesiger Fisch- und Gemüsemarkt aus, in Neapel ziehen sich die Marktstände wie ein roter Faden durch die Altstadtgassen. Rom aber ist die heimliche Hauptstadt der italienischen Gemüsekultur: Mehr als hundertvierzig Märkte gibt es in der Stadt, beinahe jedes Stadtviertel verfügt über einen Platz, auf dem sich an jedem Werktag die bunten Gemüsestände ausbreiten – und das selbst in der ansonsten recht schlecht versorgten Peripherie, wo sich gesichtslose Mietsblöcke aneinanderreihen.
Frühmorgens noch vor sechs Uhr beginnt die stille Invasion der fruttivendoli , der Gemüsehändler von Rom: Dann strömen Tausende von kleinen Lieferwagen in die Stadt, auf deren Ladeflächen rote Radicchioköpfe neben goldgelben Aprikosen liegen, grüne Erbsenschoten und tiefbraune Auberginen. »Rom hat den größten Grüngürtels Europas«, sagt Daniela Valentini, die Assessorin für das Einzelhandelswesen in der Stadt: Die einst von Dichtern und Malern bewunderte römische Campagna ist immer auch ein fruchtbarer Garten Eden gewesen – eines der wichtigsten italienischen Gemüseanbaugebiete.
Als Delikatessen gelten vor allem die schmalen, grünen Zucchini mit den goldgelben Blüten – nur im römischen Umland, behaupten italienische Gourmets, entwickelten die Gurkenfrüchte einen solch aparten, würzig-bitteren Geschmack. Unerreicht auch die winzigen roten Walderdbeeren, die aus der Gegend um Nemi im Süden von Rom kommen. Römische Spezialitäten sind überdies die dünnen grünen Spargelstangen, die schon im frühen Frühjahr reifen; die fave genannten Saubohnen, die in der römischen Küche sowohl als Salat mit frisch geriebenem Pecorino -Käse serviert werden, geschmort in Olivenöl mit Speck dazu, oder auch als Süßspeise mit Mandeln und Zucker versetzt; und schließlich die berühmten carciofi , Artischocken, so groß wie Flummibälle, die früh geerntet werden müssen, weil sie als Blütengewächse bald auseinanderfallen.
Bis vor zwanzig Jahren konnte man noch sicher sein, dass die Marktverkäufer ihre Grünfrüchte von Bauern der Umgebung bezogen. Wer nicht direkt auf einem Hof einkaufte, deckte sich über den alten Großmarkt im römischen Stadtteil Ostiense mit Waren ein – dort brach, noch vor dem Morgengrauen, regelmäßig ein Verkehrsstau aus. Doch vor einigen Jahren wurde der Großmarkt geschlossen, jetzt entsteht ein Kulturzentrum darin. Unterdessen müssen die fruttivendoli frühmorgens nach Guidonia fahren, einem kleinen Ort bei Tivoli, wo ein neuer Gemüseumschlagplatz entstand. »Nachts um zwei muss ich jetzt schon raus«, sagt Pietro, der Gemüseverkäufer vom San-Cosimato-Markt; gegen halb sechs Uhr beginnt er dann, die frischen Feldfrüchte an seiner aus Holz und Blech zusammengezimmerten Verkaufsbude aufzubauen.
Geübte Marktkunden kaufen niemals am erstbesten Stand. »Zunächst musst du einen giro machen«, sagt Agostino, ein versierter römischer Hobbykoch: einen Rundgang an allen Ständen vorbei. Hat man die Preise und die Qualitäten verglichen, kauft man dann dort, wo das Verhältnis am günstigsten erscheint. »Aber Vorsicht!«, rät Kostantino und lächelt verschmitzt: Dass die Gemüseverkäufer ihre besten Früchte zuoberst legten, sei ihr gutes Recht – »mancher packt dir jedoch nur die schlechten Sachen in die Tüte«. Noch vor einigen Jahren waren in Rom schon allein durch die auf den Märkten
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