Lesereise Kulinarium - Spanien
Sevillas angesehenstes Hotel, kreieren zu dürfen.
Je länger sich der Eis-Aficionado dem Aromenraten hingibt, umso üppiger werden die kostenlosen Versuchshäppchen. Señor Liria genießt es sichtlich, wenn seine Kunden vor lauter Gaumengenuss zwar anerkennend mit den Köpfen nicken, die Auslöser ihrer neuen Geschmackserfahrungen aber nicht immer genau identifizieren können. Zum Schluss, nach einem halbvollen Becher der Sorte Jamaika-Paprika mit Apfelsine und Schokolade, reicht der Gelatiere ein bis obenhin gefülltes Sherry-Glas stilvollendet über den Tresen: sein »Meisterwerk«, das ihm kürzlich sogar das Lob des katalanischen Starkochs Ferran Adrià einbrachte, weil es, nach Lirias eigenen Worten, »die Säure durch Süße auszugleichen versteht und auf diese Weise zu einem spektakulären Endergebnis führt«. Der kalte Inhalt des Catavino-Glases offenbart eine herb-frische Alkoholnote, oder? Richtig! Sorbete de Manzanilla de Sanlúcar de Barrameda heißt diese Kreation, die aus Eiweiß, Zucker und einem kräftigen Schuss jungen, ausschließlich in der Umgebung des gleichnamigen Städtchens an der andalusischen Atlantikküste wachsenden Weines besteht, der fruchtiger und zugleich salziger schmeckt als sein Verwandter, der Fino , aus dem benachbarten Jerez de la Frontera.
Erstmals in den Verkauf kam das exquisite Sorbet 2007 zur Feria de Abril, während der, wie jedes Jahr, rund eine Million Halbliterflaschen Manzanilla geleert wurden. Und auch für die Neuauflage 2008 des großen Sevillaner Volksfestes rund um Flamenco , Wein und Pferde hatte sich Joaquín Liria wieder etwas Spezielles einfallen lassen: Helado natural de rebujito – ein leichtes, erfrischendes Eis, das dem rebujito genannten, besonders bei den jüngeren Feria -Besuchern beliebten Mixgetränk aus Manzanilla , Limonade und ein paar Minzblättchen nachempfunden ist.
Kein Wunder, dass Lirias Eiskunst seit der Erfindung solch geradezu patriotischer Leckereien vom Konsortium der lokalen Winzer unterstützt wird. Ähnlich wie deren Rebensäfte profitieren nun auch die Köstlichkeiten aus der Heladería La Fiorentina von der Vermarktung der geschützten Herkunftsbezeichnung, die vor gut zehn Jahren als Qualitätssiegel für die westandalusischen Sherry-Produkte eingeführt wurde. Sogar die Italiener, die sich doch als die unangefochtenen Speiseeis-Weltmeister verstehen, zeigten bereits höchste Bewunderung für ihren spanischen Kollegen. Anlässlich einer Gastronomiemesse in Vicenza wurde Joaquín Liria unlängst mit dem Innovationspreis ausgezeichnet.
Georges Hausemer
Der Geschmack von Bergen und Meer
Kantabrien auf die kulinarische Tour
Aus dem Radio dudeln spanische Schlager. Manche der Frauen mit den weißen Häubchen und blau gestreiften Schürzen singen die Melodien mit. Wie eine Schulklasse sitzt die Gruppe der Arbeiterinnen an pultartigen Tischen und puzzelt an winzigen Fischlein herum. Mit der Schere werden Flossen abgeschnitten, mit der Pinzette letzte Grätchen entfernt, mit dem Daumennagel Reste der silbrigen Haut abgestreift. Dann wird das Miniaturfilet an die schon in Reih und Glied in der Dose liegenden Anchovis geschmiegt.
Über vierzig Fischfabriken, meist Familienbetriebe, hat das Fischerdorf Santoña am kantabrischen Meer. Wenn Thunfisch oder Sardinen gekocht würden, rieche der ganze Ort danach, sagt eine der Arbeiterinnen. Berühmt aber ist Kantabrien vor allem für seine anchoas , die als beste Sardellen der Welt gelten. Engraulis encrasicolus nennen sich die kleinen Fische aus der Gattung der Heringsarten mit wissenschaftlichem Namen. In Spanien liebt man sie vor allem frittiert oder in Essig eingelegt als säuerlich erfrischende boquerones .
John Steinbecks »Straße der Ölsardinen« scheint an der Biskaya noch in Betrieb. Doch Immaculada Claudio, die Verkaufsleiterin von Conservas Emílía, hat Jahre der Krise erlebt, in denen die hoch geschätzten Anchovis einfach ausblieben. Während vor zwei Generationen noch bis zu achtzigtausend Tonnen Sardellen pro Jahr aus dem kantabrischen Meer geholt wurden, waren die Bestände im Jahr 2005 drastisch eingebrochen. Die Sardellen waren praktisch verschwunden, genau wie einst die Sardinen bei John Steinbeck. Jahrelang hatten zuvor Naturschützer und Wissenschaftler vor der Überfischung der Delikatesse aus der Familie der Heringsfische gewarnt. Erst als der Fisch in der Biskaya fast vollständig verschwunden war, wurde von der EU -Kommission ein Fangverbot
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