Lesereise New York
auf den Prenzlauer Berg gesetzt hat.
Doch die Anwohner, die sich in Pastor Meeters Kirche versammelt haben, stört nicht nur die Ästhetik des Gebäudes, jene brutale Rücksichtslosigkeit gegenüber den Dimensionen und dem Charakter der umliegenden Nachbarschaften. Sie stört vor allem, wie das Projekt geplant und durchgeboxt wurde. »Es war genau das Gegenteil von der Art und Weise, wie Viertel und Gemeinden entwickelt werden sollen«, sagt die Staatssenatorin Velmonette Montgomery, eine energische schwarze Frau, die in Park Slope aufgewachsen ist, der Kirchenversammlung. »Die Leute aus dem Viertel und ihre gewählten Vertreter wurden komplett umgangen, die Bauherren haben niemandem Rechenschaft ablegen müssen. Schlimmer noch, wenn das Beispiel Schule macht, dann kann in New York jeder, der genug Geld hat, ganze Viertel räumen lassen und bauen, was er will.«
Die Geschichte des Barclays Center beginnt um die Jahrtausendwende, zu einem Zeitpunkt, an dem der Exodus der Jungen, Coolen und Kreativen aus ihren angestammten Revieren im immer teurer werdenden downtown Manhattan in Richtung Brooklyn in vollem Gang war. Die Hipster, Skateboarder und Garagenrocker von der Lower East Side hatten längst das alte polnische Arbeiterviertel Williamsburg kolonialisiert. Die leer stehenden Lager- und Fertigungshallen waren in Musikclubs und Loftwohnungen umgewandelt worden und entlang der Bedford Avenue wimmelte es nur so vor Cafés mit nackten Backsteinwänden, Plattengeschäften und modrigen Szenekneipen.
Die etwas erwachsenere Szene, die Schriftsteller, Journalisten, Designer und Fotografen spülten derweil von Brooklyn Heights aus immer tiefer in das Viertel hinein und renovierten die prächtigen brownstones von Carroll Gardens und Cobble Hill. In Park Slope zogen die jungen Familien ein, die ihre Kinder nicht in einer Manhattaner Schuhschachtel großziehen wollten. Sogar in den traditionellen Schwarzenvierteln Fort Greene und Bedford-Stuyvesant, die Spike Lee durch seine Filme cool gemacht hatte, begannen die ersten Straßencafés und Ethnorestaurants zu eröffnen. Spike Lee selbst war bereits in die Gegenrichtung geflohen und hatte sich in Manhattan angesiedelt, weil er als Kult-Brooklyner hier nicht mehr unbehelligt die Straße überqueren konnte. Lifestylemagazine im ganzen Land begannen über Brooklyn zu berichten, GQ nannte den Stadtteil den »coolsten Ort des Planeten«.
Das alles entging natürlich nicht den Immobilienmogulen und Spekulanten. Brooklyn wurde auf einmal eine Aktie mit Zukunft und die Cleversten wollten von Anfang an dabei sein. So erinnerte sich plötzlich der Investor Bruce Ratner, ein blasser, teigiger Mann aus Ohio, der niemals ohne Manuskript mit Reportern spricht, daran, dass ihm vor Jahren im Herzen von Brooklyn ein Angebot gemacht worden war.
Damals war das Areal eine wertlose Brache gewesen, die keiner wollte, eine einen Kilometer lange Trasse von Abstellgleisen parallel zur Atlantic Avenue, an deren Rand halb leer stehende Industriebauten und ein paar vereinzelte Wohnhäuser standen. Mitte der neunziger Jahre wusste Ratner damit nichts anzufangen, doch jetzt, da Brooklyn im Kommen war, hatte er plötzlich eine Vision. Hier, über den Atlantic Railyards, sollte vom Reißbrett das neue Zentrum von Brooklyn entstehen, ein Megakomplex mit sechzehn Wohn- und Einkaufstürmen und einer supermodernen Sport- und Veranstaltungsarena. »Brooklyn«, sagte Ratner damals, »wird ein Epizentrum dieses Landes werden und dieser Ort wird in dessen Mitte stehen.«
Nach Ratners Plan sollte Brooklyn in die gleiche Liga aufsteigen wie der große Bruder Manhattan, mit dem Brooklyn schon vor hundertvierzehn Jahren nur widerwillig in den großen Schmelztiegel New York geschmissen wurde. Das Brooklyn von Ratner und dem Stadtteilpräsidenten Marty Markowitz, den er rasch in der Tasche hatte, sollte »Weltklasse« werden, wie sie beide immer wieder sagten. Was sie damit meinten, war freilich die gleiche Hochglanzweltklasse, die Manhattan seit den achtziger Jahren zum Luxusprodukt gemacht und die Kreativen in die Flucht nach Brooklyn getrieben hatte.
Wenn Dan Goldstein an Ratner und an jene Anfangszeit der Atlantic Yards zurückdenkt, dann versteinert sich sein Gesichtsausdruck, so, als sähe er ein Gespenst. Goldstein ist der Prototyp der neuen Brooklyner Bevölkerung, er ist Grafikdesigner, Mitte dreißig, mit zauseligem Haar, Nickelbrille und einem D’Artagnan-Bärtchen. Auch Goldstein hatte zu jener Zeit die
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