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Lesereise New York

Lesereise New York

Titel: Lesereise New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Noll
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Zugängen zu den sechsundzwanzig tiefer liegenden unter den insgesamt siebenundsechzig Gleisen von Grand Central. Peake kommt seit zwanzig Jahren jeden Morgen mit dem Zug am Grand Central an, und seit der Renovierung ist er, wenn er in Manhattan ist, fast nur noch im Bahnhof oder in seinem Büro um die Ecke, an der Park Avenue. »Ich kaufe hier ein, ich gehe hier essen, ich nehme einen Drink, ich lese meine Zeitung – das ist einfach wunderbar«, sagt er, während er durch seine Halbbrille in der Sportseite der Daily News nachliest, warum die New York Knicks schon wieder verloren haben.
    Es ist Spätnachmittag geworden, draußen dämmert ein New Yorker Wintertag der frühen Dunkelheit entgegen. Der Bahnhof zeigt sich wieder mehr von seiner praktischen Seite, der Pendlerverkehr fängt an, stadtauswärts zu strömen. Krawatten werden auf dem Weg über die wuselige 42nd Street zum Haupteingang aus Krägen gezogen, der New Yorker Feierabend hat begonnen. Vor den vielen Eingängen rund um den zwischen die umliegenden Wolkenkratzer gequetschten Prunkbau kämpfen Zeitungsverkäufer mit der verbilligten Morgenausgabe und Heilsarmisten mit Sammelbüchsen um die Groschen in den Hosentaschen der Hastenden.
    An der Bar des Edelrestaurants Cipriani’s auf dem Ostbalkon über der Haupthalle wird es langsam voll. Ein schneller Martini, ein schnelles Bier, während man auf den Zug wartet – einen besseren Fleck gibt es in Manhattan für die Happy Hour kaum. Von hier oben hat man einen Logenblick über die Haupthalle, die unter den riesigen Kronleuchtern in den Galerien rund um den Saal wirkt wie der Innenhof eines Barockschlosses. Ein Innenhof, durch den eine Million Schuhe wie in einem perfekt choreografierten Tanz den Ausgängen und Durchgängen entgegenschweben. Ein Mann schaut nach seinem ersten Drink auf seinem Blackberry nach dem Fahrplan und fragt dann seine Begleiterin im Chanel-Kostüm, ob sie den nächsten Zug nehmen oder lieber noch ein bisschen verweilen sollen. Die Dame bestellt wortlos noch einen Drink.

Die Schlacht um Brooklyn
New Yorks coolster Stadtteil war lange eine Alternative zu Manhattan. Jetzt will er dem großen Bruder Konkurrenz machen
    Pastor Daniel Meeter spuckt Feuer an diesem Dienstagabend, sein Kopf schaut hochrot aus seinem weißen Hemd und er stampft mit seinen schwarzen Halbschuhen immer wieder auf den Kirchenboden, während er redet. Der Vorsteher der Old Reformed Church in Brooklyn, einem hübschen alten Steinbau an einer idyllischen Allee der Park-Slope-Gegend, darf sich eigentlich nicht in die Politik einmischen, sonst gefährdet er die Gemeinnützigkeit seiner Gemeinde, doch das ist ihm heute egal. Er ist zornig und das will er die Versammlung auch wissen lassen, die sich hier eingefunden hat, um über die Zukunft des Stadtteils zu debattieren.
    »Sie haben uns ein Raumschiff mitten auf die Atlantic Avenue gepflanzt«, wettert der Pfarrer, »einen Fremdkörper, eine unbeschreibliche Hässlichkeit.« Die Knöchel seiner Faust, mit der er auf ein imaginiertes Pult trommelt, sind dabei weiß und seine Stimme überschlägt sich. »Dieses Ding saugt die Energie aus unserer Gemeinde, es bedroht unsere soziale, wirtschaftliche und, ja, auch unsere spirituelle Gesundheit.«
    Die Rede ist vom Barclays Center, das am letzten Septemberwochenende 2012 mit einem Jay-Z-Konzert eröffnet hat, einem Basketballstadion an der Kreuzung Flatbush und Atlantic Avenue, der Schnittstelle von gleich vier Brooklyner Wohnbezirken. Sie alle – Park Slope, Carroll Gardens, Fort Greene und Brooklyn Heights – sind typisch Brooklyn, jener Stadtteil, der immer schon stolz darauf war, anders zu sein als Manhattan, menschlicher, leiser, weniger hektisch. Alte Bäume säumen ruhige, idyllische Wohnstraßen mit dreistöckigen historischen Ein- bis Zweifamilienhäusern, genau die Art von Biotop, das seit nunmehr zwanzig Jahren junge Familien, Kreative und Künstler in Horden von Manhattan über den East River zieht.
    Die Arena ist hingegen ein überdimensionaler Klotz, der tatsächlich so wirkt, als wäre er vom Himmel gefallen. Wenn man in Park Slope an der Fifth Avenue entlang auf die Flatbush Avenue zuläuft, verdunkelt die absichtlich rostig belassene Stahlfassade des postpostmodernen Bauwerks bald den gesamten Horizont. Man könnte meinen, eine Mauer trenne Park Slope vom gegenüberliegenden Stadtteil Fort Greene. Das gewellte Gebilde wirkt wie eine bombastische Version der Berliner »Schwangeren Auster«, die man mitten

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