Lesereise Paris
die Spuren der Spionin Mata Hari, der mutmaßlich einzigen femme fatale in deutschen Diensten. Als die Amerikaner den Eiffelturm eineinhalb Jahre nach der Befreiung zurückgaben, kam ein Monteur und behob den »Liftdefekt«. Mit dem Schraubenzieher.
Für Funk und Fernsehen war der Turm gar nicht gebaut. Er war materiell zweckfrei, ein Monument des Surrealismus vor der Zeit. An Vollkommenheit übertraf ihn in dieser Hinsicht nur noch der Burdsch el-Kahira, der Kairo-Tower, auf der Nil-Insel Gesirah. Dieser entstand, nachdem eine CIA -Mission unter Führung des Präsidentensohns Kermit Roosevelt dem ägyptischen Staatschef Gamal Abd el-Nasser drei Millionen Dollar in bar »zur persönlichen Verfügung« überbracht hatte, um ihn vom Bündnis mit den Russen abzuhalten. Der verärgerte Nasser gab die Summe, damals viel Geld, für einen völlig sinnlosen Turm aus, der keine Büros, keine Feuerwache, keine Wetterstation, keine Sendermasten, sondern nur ein schlechtes Drehrestaurant enthält. In der Umgebung des Präsidenten hieß die hundertsiebenundachtzig Meter hohe Röhre »Wa’if Rusfil«, was man am besten mit »Roosevelts Erektion« übersetzt.
Den Franzosen stand der Sinn nach Höherem. Ihre Republik hatte gerade den Staub der Niederlage von 1871 aus den Kleidern geschüttelt und wollte zeigen, wo immer noch der Mittelpunkt der Welt war. Etwa zugleich und aus verwandten Motiven begann das katholische Frankreich auf dem Montmartre mit dem Bau der Basilika Sacré-Cœur. Seither stehen sich die architektonischen Symbole des Frankreichs der Marianne und der Jeanne d’Arc als Höhepunkte der Pariser Stadtsilhouette gegenüber, Ausdruck der zwei Seelen, die Franzosen wie alle anständigen Menschen in der Brust tragen. Es ist achtzehn Uhr. Notre-Dame schließt gerade, nicht so der Eiffelturm.
Im Jules-Verne-Restaurant in der zweiten Etage werden die Tische für das Abendessen gedeckt. Bretonischer Hummer, gekocht, Sauce Cardinal (vierundneunzig Euro) oder Kalbsrippe nach Art der Corrèze, des Heimatdepartements von Expräsident Jacques Chirac (vierundsiebzig Euro), stehen auf der Karte. Das »Jules Verne« ist eines der exklusiven Lokale der Stadt. Hier gibt es keine Liftschlangen, das Restaurant hat seinen eigenen Aufzug. Dafür muss lange im Voraus reserviert werden. Zwei elegante Golf-Araber, die gern rasch entschlossene Gäste gewesen wären, treten enttäuscht aus dem Vestibül wieder ins Freie.
Eigentlich hätte der Turm nach Ablauf der zwanzigjährigen Konzession abgerissen werden sollen. Aber eine Goldgrube schüttet niemand zu. Die Anleihe für den Bau war aus den Einnahmen des ersten Jahres zurückbezahlt worden. Sogar die Arbeiter, die schon am Bau mit fünfundneunzig Centimes Stundenlohn überdurchschnittlich gescheffelt hatten, bekamen nachträglich eine Zusatzprämie von hundert Franc. Heute verdient der Staat am weltlichen Himmelfahrtsgeschäft: Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in die Lifte springt.
Mona Lisa: Einsame Schönheit hinter Panzerglas
Die große Attraktion ist sichtbar geworden
Das Matterhorn kann man jederzeit, außer bei schlechtem Wetter, besichtigen. Mit der Mona Lisa taten sich die meisten jahrzehntelang schwer. Denn man kam an das populärste Kunstwerk der Erde kaum heran. Es gibt Leute gesetzten Alters, die siebzehnmal in Paris und im Louvre waren und es dennoch nie geschafft haben. »Da ist sie«, rief einmal hoffnungsvoll eine Familie aus dem Rheinland, die glaubte, einen Blick der Gioconda aufgefangen zu haben, bevor ihr berühmtes Lächeln wieder in der Brandung versank. Einem muskulösen Skandinavier gelang es, sich ins sechzehnte Glied vorzuarbeiten, dann wurde auch er abgedrängt. Noch weniger Glück hatten zwei italienische Damen, die Menschenmengen nicht ausstehen können und den Kampf deshalb gar nicht aufnehmen wollten. Sie schlichen die jenseitige Wand des Saales entlang, rasch entschlossen, sich wie der Rest der Welt auch hinfort mit Reproduktionen zu bescheiden. Allgemeine Bewunderung war einem agilen Südamerikaner sicher, der schwor, er habe für Sekunden die Glasabdeckung des populärsten Kunstwerks der Erde gesehen. Erst dann habe ihm die geschlossene Phalanx einer japanischen Reisegruppe Blick und Weg verstellt.
Das ist vorbei. Die Mona Lisa hat eine wohlverdiente Solowand erhalten. Sie ist durch eine Schranke und Panzerglas vom Volk geschützt, aber jeder Verehrer kann sie sehen. Er findet sie auch leicht, denn schon von den Eingängen des Louvre
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