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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Hosentasche zu schieben – eigentlich ein schwerer Fauxpas, an diesem Abend aber von Špaček als Geste der Lockerung und des Wohlbehagens empfunden.
    Ein Anlass übrigens, bei dem man das Handy unbedingt ausgeschaltet haben sollte.

Knödel an Kraut
Junge Köche verleihen der guten alten böhmischen Küche neuen Glanz
    Kann es sein, dass dies ein Knödel ist, so luftig, locker und verlockend frisch? Fast schwebt der helle Bissen auf der Gabel, auch auf der Zunge erzeugt das Gebilde den Eindruck einer wunderbar erträglichen Leichtigkeit des Seins. Gerade von der böhmischen Küche ist man diese Anmutung nicht gewohnt. Sie war immer schwer und fett. Knödel, gereicht zu Ente und Kraut, das sind in tschechischen Lokalen meist feiste, kompakte Kugeln oder trockene, störrische Teigscheiben, die sich manchmal nur noch mit dem Messer portionieren lassen.
    Aber hier, in der »Degustation Bohême Bourgeoise«, ist alles anders. Hier zerfließt das Rotkraut mit Kümmel zu einer dunklen, herrlich duftenden Essenz. Die Brust von der Ente aus Vodňany wird in zwei Streifen von der Dicke eines Würfels dargereicht – ein Fleischstück wie ein postmoderner Flachbau, aber weich und entenecht. Und der knedlík ist gar kein knedlík , wie der Blick auf die Speisekarte zeigt, sondern ein krupicový nok , ein Grießnockerl, von ungeahnter Zartheit des Geschmacks. Nie so gut tschechisch gegessen. Und nie so wenig davon auf dem Teller gesehen.
    Die Degustation Bohême Bourgeoise in der Haštalská-Gasse der Prager Altstadt ist nicht irgendein tschechisches Lokal, sondern vermutlich das beste schlechthin, wenn es um böhmische Küche geht. Man präsentiert sie hier in ihrer reinsten Form, als Idee gewissermaßen. Als eine Kollektion von Aromen, die das ungeheure Potenzial dieser traditionsreichen Art zu kochen ahnen lassen. Der Prager Schinken mit Apfel- und Meerrettichschaum, die Rebhuhnsuppe mit Wachtelei, die Rindsschulter mit Dillsauce, die frisch geräucherte Ochsenzunge mit gelbem Erbspüree oder die Olmützer Quargeln (ein Sauermilchkäse) – alles ist in kleinen Portionen verdichtet aufs Wesentliche, den intensiven Geschmack.
    Es geht um Kostproben, wie der Name des Lokals besagt – in sieben Gängen mit sieben Amuse-Bouches und sieben Sorten feinsten einheimischen Weines, zumeist aus Mähren. Eine Offenbarung, die auch den bekannten Prager Food-Kritiker Pavel Maurer überzeugt und bewogen hat, in seinem Restaurantführer die Degustation Bohême Bourgeoise in der Gesamtwertung auf Platz eins zu setzen und den jungen Küchenchef Oldřich Sahajdák zum tschechischen Koch des Jahres auszurufen.
    Sahajdák verkörpert mit anderen ambitionierten Kollegen das, was der Fernsehkoch Zdeněk Pohlreich aus dem Prager Café Imperial unumwunden die »nouvelle cuisine tchèque« nennt. Diese neue Garde propagiert die Entfettung der traditionellen Gerichte, die Rückkehr zu biologisch erstklassigen Lebensmitteln, den Einsatz moderner Kochtechniken und vor allem die strikte Beachtung des Grundsatzes »Qualität vor Quantität«. »Nicht diese ovalen Teller mit einer Unmenge Knödel oder gebackenem Käse«, wie Pohlreich lästert.
    Derlei kulinarische Unsitten hatten sich in den vierzig Jahren des Kommunismus verbreitet, die für die Kochkunst eine Ära qualitativer Verelendung waren. Dem Volk wurde Einheitsfraß verordnet. Legendär ist der Ausspruch des Direktors der Nationalbetriebe Restaurants und Kantinen aus den siebziger Jahren: »Genossen, das geht wirklich nicht, dass jeder das Gulasch kocht, wie er will.« Landesweit gab man den Gaststätten einheitliche Rezepte vor, das erleichterte die Planung, und landesweit goss man über die Beilagen die berüchtigte univerzálni hnědá omáčka (universelle braune Sauce), im Volksmund UHO genannt. Manche Prager Touristenlokale gaben mit vermanschtem Sauerkraut, abgesoffenen Salaten und ausgedörrten Enten noch lange nach der Wende eine Vorstellung von dieser Zeit.
    Die neue Generation der Köche aber besann sich auf die Zeit vor dem Kommunismus, auf die Erste Tschechoslowakische Republik (1918–1938) und die vorangegangene Epoche, als Böhmen zur Habsburger-Monarchie gehörte. Schon 1826 hatte die Advokatengattin Magdalena Dobromila Rettigová mit ihrem Buch »Die Hausköchin« das damalige Know-how zum klassischen Kanon gefügt. Und 1880 setzte Marie B. Svobodová mit ihrer »Kochschule« neue Maßstäbe, die in der ganzen Donaumonarchie zum Leitbild wurden. Böhmische Köchinnen gelangten

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