Lesereise Prag
an den Wiener Adelshöfen zu künstlerischem Ruhm. So kommt es zu einer kuriosen Situation, die der tschechische Fernsehkoch Filip Sajler so beschreibt: »Wenn Sie gute tschechische Küche finden möchten, dann sollten Sie eigentlich nach Wien fahren.«
Sajler orientiert sich durchaus an der Arbeit der Wiener Kollegen und der Tradition der Ersten Republik, so wie Oldřich Sahajdák in der Degustation Bohême Bourgeoise sich ausdrücklich auf die Überlieferungen von Marie Svobodová beruft. Den besonderen Reiz seines Hauses macht es zudem aus, dass der Starkoch anfangs von dem spanischen Kollegen David Diaz Delgado unterstützt wurde, der zuvor in der Molekularküche des Katalanen Ferran Adrià im »El Bulli« gearbeitet hatte. Eine Erinnerung daran ist unter anderem der Gurkensalat, der als erstes Amuse-Bouche gereicht wird – als reine Essenz, im Röhrchen.
Wer die Degustation nach einem dreistündigen böhmischen Bacchanal verlassen will, der hat für die genossenen Sinnesfreuden inklusive Trinkgeld rund viertausendfünfhundert Kronen (hundertachtzig Euro) pro Person zu entrichten. Weit billiger, dafür natürlich entsprechend einfacher kann man die neue tschechische Küche gleich nebenan im neuen Gasthaus »Lokal« genießen. Man sitzt in einem bahnhofshallenlangen Saal, an dessen Wänden alte Wirtshauskrakeleien kunstvoll aufgetragen sind. Ein cooles Zitat, das ebenso wie die gläserne Biertheke mit den Stahlfässern zur gewollten Entgemütlichung des Raumes beiträgt. Hier herrscht die Gegenwart, so heißt die Botschaft, und auch die klassischen Gerichte sind in die Jetztzeit transferiert. Die Hühnerbrühe mit Reibeteig ist kraftvoll-schlicht, das Karpfenfilet gut kross gebraten, die Salzkartoffeln haben den perfekten Weichheitsgrad erreicht, und die gewürfelte Rote Bete genießt man al dente. Wunderbar duftig-locker dann die Dukatenbuchteln mit Vanillesauce. Auch hier arbeitet Chefkoch Marek Janouch durch Konzentration und Reduktion das Wesentliche heraus, den vollen Geschmack. Die Rechnung kommt auf dreihundertneunundachtzig Kronen ohne Trinkgeld, zwei Halbe Pilsner inklusive, das sind fünfzehn Euro fünfzig. Der Raum ist voller junger Leute.
Qualität zu guten Preisen – das ist in Prag die gleiche Herausforderung wie anderswo. In den meisten Touristenlokalen bekommt man sie nicht, wenn man die einheimischen Klassiker bestellt. Aber es gibt doch eine Reihe solider Restaurants der Mittelklasse, die von Tschechen ebenso wie von Fremden stark frequentiert werden. Zu ihnen zählen die Großlokale »Olympia« und »Kolkovna«, die Teil einer Kette sind, sowie die Traditionskneipe »Baráčnická Rychta« auf der Kleinseite, wo man vor holzgetäfelten Wänden im trauten Lampenschein an großen Tischen sitzt. Ein vaterländischer Folkloreverein hat hier seinen Sitz, das Gasthaus ist wohl seit einem halben Jahrhundert nicht verändert worden.
Für den, der einmal jenseits der touristischen Trampelpfade nur unter Tschechen hocken mag, lohnt sich die kurze Straßenbahnfahrt zum Stadtteil Holešovice ins Wirtshaus »U Svateho Antoníčka« (Zum heiligen Antonius). Der hohe Raum ist augenscheinlich seit Generationen vom Qualm der Raucher gebräunt, Bierkrüge stehen auf einem Bord über der Tür. Die dunkle Wandverkleidung, leicht zerstoßen, kontrastiert mit dem kiefernhellen Mobiliar, das auch schon manches Jahr hat gehen sehen. Ein großer Schirm an der Stirnwand zeigt tonlos Sportübertragungen. Suppe ist hier nicht vorgesehen, auch Nachspeisen gibt es nicht. Aber die berühmte svíčková , der Lendenbraten, schmeckt gut mit ihrer wirklich sahnigen Sauce, comme il faut. Nur neunundsechzig Kronen (2,76 Euro) kostet das Gericht, zwei Halbe Pils dazu sind kaum billiger.
Doch wird auch dieses Preis- und Qualitätsniveau im Land natürlich unterboten. Man muss deshalb sehr sorgfältig wählen, wenn man in Tschechien die berühmte böhmische Küche genießen will. Der Gastro-Kritiker Pavel Maurer jedenfalls hat einmal die svíčková als repräsentativstes Gericht des Landes in vierzig unterschiedlichsten Gasthäusern getestet, vom Imbissstand bis zum Luxusrestaurant. Er fand die unterschiedlichsten Qualitäten vor. In einem Prager Lokal war die svíčková so schlecht, dass er sofort einen Schnaps bestellen musste, um wieder zu Kräften zu kommen.
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