Lesereise Rom
Seither sind in Rom eine Reihe städtischer Betriebe ebenso privatisiert worden wie zahlreiche Wohnungen und Ladenlokale. Auch manche Miete wurde erhöht.
Ein Silberschatz für Sisyphus
Wo die Münzen aus der Fontana di Trevi bleiben
Montags morgens wird der Schatz gehoben, so fängt der Ärger an. Die Stulpenstiefel, mit denen sich die Schatzsucher bewehren, reichen bis zum Oberschenkel und sind giftgrün. Breitbeinig durch das Becken watend, schieben zwei Männer mit einem Rechen, dem am Fuß statt eines Eisenkamms ein Gummibalg aufgepflanzt ist, all das vor sich her, was in diesem Brunnen nun einmal herumliegt: Münzen, Münzen, Münzen. Zwei andere Arbeiter klauben Münzen von Felsnasen und aus Grotten, ihr Chef sowie drei Polizisten sehen dabei zu. Dies ist ein hoheitlicher Akt. Wenn montags morgens in der Altstadt von Rom der Trevibrunnen von seiner sonderbaren Fracht befreit wird, dann gibt die Ordnungsmacht acht, dass kein einziger der vielen Tausend Silberlinge unerlaubt verschwindet. Auch wenn das manches vereinfachen würde.
Rot-weiß gestreifte Plastikbänder riegeln die engere Umgebung des Brunnens ab. Die Schaulustigen sind für drei Stunden auf Distanz gehalten. Doch unverdrossen tun sie auch in dieser Zeit, was ihnen die Legende dieses Ortes aufzuerlegen scheint. Sie nehmen, dem Bassin den Rücken zugewandt, andachtsvoll Aufstellung und werfen Münzen, Münzen, Münzen hinter sich. Dies gibt Gewähr, dass man eines Tages nach Rom zurückkehrt. Ein Mythos wird so zu Materie und Masse, und säckeweise sind infolgedessen montags morgens Münzen, Münzen, Münzen abzufahren, vor denen später missgelaunt ein Mensch namens Luciano Rizza sitzen wird, zusammen mit zwei missgelaunten Kriegsdienstverweigerern.
Schuld daran sind die Deutschen, genauer: ein paar teutonische Schwärmer aus der romantischen Abteilung. Von den Erklärungen, die für den Ursprung des Münzenbrauchs gegeben werden, ist jedenfalls nach dem Urteil der Historikerin Lucia Traviani die wahrscheinlichste die, dass er vor gut hundert Jahren in der deutschen Kolonie zu Rom erfunden worden ist. Urheber soll der Archäologe Wolfgang Helbig gewesen sein, ein Lebemann, der zwar wissenschaftlicher Fälschungen verdächtig ist, aber jedenfalls Talent als Zeremonienmeister bewies. Er hat demnach, anknüpfend an antike Geldopfer in Flüssen oder Quellen, am Trevibrunnen eine Abschiedsgaudi für jene armen Landsleute kreiert, die Rom verlassen mussten und nichts so sehr ersehnten wie die Wiederkehr. Eine solche zu befördern, hatten sie am Abend vor der Abreise ein Glas Wasser aus dem Brunnen zu trinken und eine Münze hinter sich ins Bassin zu werfen, ein Geldstück übrigens, das außer Kurs war. Die Sache mit dem Abschiedstrunk war unlängst noch bei römischen Liebespaaren im Schwange. Der Brauch des Münzenwerfens wurde in den fünfziger Jahren durch einen Film wieder populär und wird heute offenbar rund um den Erdball in allen Rom-Reiseführern erwähnt, namentlich in japanischen. Der Japaner, wenn er zum Trevibrunnen tritt, tut dies mit Pflichtgefühl im Antlitz und fotografiert seine Frau, wie sie die Münze wirft. Der Italiener baut sich lärmend zum Gruppenfoto auf, verkämmt das Gel im Haar, schaut auf nichts als die Linse und lacht. Der Deutsche trägt rosa Radlerhosen oder Hut und gibt seiner Frau Anweisung, wie sie ihn fotografieren soll. Der Brite führt außer der Kamera auch Flaschenbier mit sich. Neulich war da einer, der muss aus dem offenen Osten Europas gekommen sein, viel zu warm angezogen, nagelneu die Videokamera. Erst hat er seine Frau gefilmt, wie sie elfengleich am Brunnenrand posierte und nymphenmäßig die goldenen Sandaletten bewegte, vor dem Hintergrund der Wasserteppiche und Fontänen. Dann hat der Mann den Fotoapparat herausgeholt und aufs Stativ geschraubt, ist zur Eheliebsten auf den Brunnenrand gehechtet und hat sie in Stummfilmpose vor den Wassern malerisch geküsst, bis der Selbstauslöser klickte.
Der Mensch liebt halt das Schöne, und an der Fontana di Trevi wird er damit einwandfrei versorgt. Es gibt nicht viele weltbekannte Monumente, in denen sich das künstlerisch Erhebende so innig dem Unterhaltsamen anvermählt, in denen Wassergötter mit ihren Gäulen so gemütlich in einem antiquarischen Disneyland versteinert sind. Federico Fellini hat 1959 in seinem Film »La dolce vita«, als er die hochbusige Anita Ekberg durch das Bassin waten ließ, dem Wasserschauspiel eine magische Dimension hinzugefügt,
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