Lesereise Sizilien
Einwohnerzahl von gerade einmal zwölftausend. Die ganze Stadt ist so unwirklich wie das griechische Theater von Taormina, das per se mehr fasziniert als es jede Aufführung könnte. Die schönste Arena in der besten Lage der Welt, vor der die Natur, mit Vulkan als Kulisse, ihr großartiges Schauspiel liefert. Es ist nach dem Theater von Syrakus das zweitgrößte in Sizilien. Schon Goethe zeigte sich entzückt von dem landschaftlich so außergewöhnlich reizvoll gelegenen Bauwerk. Unzählige Stiche und Gemälde haben es zu einer der bekanntesten antiken Ruinen Siziliens werden lassen. Das Wahrzeichen Taorminas wurde im 3. Jahrhundert vor Christus errichtet, erhielt sein heutiges Aussehen aber erst vierhundert Jahre später, als die Römer es für ihre Spiele nutzen wollten. Am allerschönsten ist der Blick vom Teatro übrigens früh am Morgen, wenn die Umrisse des Ätna noch klar in den Himmel ragen. Fast wie eine Insel inmitten des Trubels mutet die Nobelherberge San Domenica Palace in dem ehemaligen Dominikanerkloster aus dem 16. Jahrhundert an, die tapfer allen Jahrhunderten und Touristen die Stirn bietet. Dafür, dass das so bleibt, sorgt ein strenger Portier. Schade eigentlich, denn in dem Klostergarten zwischen Laubengängen, Palmen und Hibiskus fühlt man sich noch wie anno dazumal.
Catania, die Großstadt zu Füßen des Ätna, bildet das perfekte Kontrastprogramm zu Taormina. Chaotisch, laut, schmutzig – hier lebt Sizilien. Verfallene Häuser, Fabrikgelände, in den Himmel ragende Schornsteine, Abfall auf den viel befahrenen Straßen, Auspuffgase. Sieben Mal wurde die Stadt von Erdbeben und Lavaströmen überrollt, immer wieder ist sie wie Phönix aus der Asche auferstanden aus den Ruinen. 1693 musste die zweitgrößte Stadt der Insel nach einer Erdbebenkatastrophe und glühenden Lavaströmen, die sich über die Stadt hinweggewälzt hatten, fast völlig neu aufgebaut werden. Gerade einmal drei Gebäude hatten den Naturgewalten getrotzt, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung verloren ihr Leben. »Schwarze Tochter des Ätna« wird Catania liebevoll augenzwinkernd genannt, denn Lava ist ihr Element. Das enge Band der Stadt mit dem Vulkan – der Hauptkrater liegt knapp dreißig Kilometer entfernt – wird auch an den Gebäuden sichtbar, von denen viele aus Lavasteinen erbaut sind. Das »schwarz« bezieht sich allerdings auch auf eine extrem hohe Kriminalitätsrate.
Auch Catania hat eine Fußgängerzone, allerdings kümmert das kaum jemanden. Höchstens die Stadtpolizisten, die ihr Möglichstes tun, um Ordnung ins Chaos zu bekommen. Vierundzwanzig Stunden am Tag haben Straßenstände in Catania geöffnet, wo man Lebensmittel und Snacks kaufen kann. Panella, zarte Fladen aus Kichererbsenmehl, pani ca meusa, Lunge und Milz in Öl gebraten und in panini gefüllt, rund um die Uhr für ein paar Cent. Auch Catania hat eine römische Vergangenheit. Zumindest theoretisch. Man müsste allerdings zuerst danach graben, unter Wohnhäusern. Catania will sich nicht anbiedern wie Taormina, schön ist die Stadt höchstens auf den zweiten Blick, aber sie ist interessant, schnell, bunt, laut. Mailand des Südens wird sie genannt, Unistadt ist sie auch, jugendlich, quirlig, jeder sechste Einwohner ist Student. Wahrzeichen der Stadt ist ein Elefant aus schwarzer Lava, der die Kathedrale bewacht. Liotru heißt das Rüsseltier nach einem Zauberer, der in byzantinischer Zeit in Catania wirkte. Auf seinem Rücken trägt er einen Obelisken, der möglicherweise aus dem römischen Zirkus Catanias stammte. Ursprünglich gehörten die beiden nicht zusammen. Sie wurden nach dem Erdbeben getrennt aus dem Schutt gefischt und zusammengefügt. Catania hat große Pläne für die Zukunft: Straßen, Gleise, Fabriken, alles, was die Stadt vom Meer trennt, soll weg. Ein großer Hafen soll her, dazu Restaurants, Hotels und Ausstellungszentren. Schöne Pläne.
Das New York der Antike
Syrakus
Syrakus heute: eine etwas verschlafene Provinzstadt, von einem Ring moderner Wohnviertel, industrieller Großanlagen und dicht befahrener Straßen umzingelt. Am Stadtrand ein Ruinenfeld aus griechisch-römischer Zeit. Geblieben sind in dem gewaltigen Parco Archeologico neben vielen Ruinen ein griechisches Theater, ein römisches Amphitheater und das »Ohr des Dionysios«, eine künstliche Höhle mit ungewöhnlicher Akustik, in der es im Sommer herrlich kühl ist. Ach, und das Museo del Papiro, schließlich wuchert entlang des Flusses Ciane der letzte wilde
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